Die letzte Mission
früheren Leben an seinem Bett vorbeizogen und ihn mit Mitleid überhäuften, trieb ihn in den Wahnsinn.
Er überlebte nur noch. Eine Weile hatte er es mit Selbsthilfegruppen und Therapien versucht, aber dann war ihm klar geworden, dass das alles Blödsinn und für Leute gedacht war, deren Probleme nur eingebildet oder leicht zu lösen waren.
Die einzige Lösung für sein ganz spezielles Problem war der Tod. Aber aus irgendeinem Grund hatte er es bis jetzt nicht geschafft, Selbstmord zu begehen. Und deshalb war er jetzt auch noch ein Heuchler. Schließlich hatte er nie ein Problem damit gehabt, jemand anderen zu töten.
Vielleicht war das ja seine Strafe. Er war dazu verurteilt worden, bei vollem Bewusstsein in seinem eigenen Körper begraben zu werden. Der Vergleich hinkte natürlich. Menschen, die man lebendig begrub, waren innerhalb weniger Stunden tot. Mit etwas Glück würden ihn die Schrecken der modernen Hochleistungsmedizin noch Jahrzehnte am Leben halten.
Und zu allem Überfluss versuchten jetzt auch noch ein paar Leute vom Heimatschutz, ihn ein zweites Mal hereinzulegen. Die amerikanische Regierung konnte sehr rachsüchtig sein, wenn sie ihren Willen nicht bekam – eine Eigenschaft, die sich aufgrund der zunehmenden Bedrohung durch unkontrollierbare Kräfte von außen nur noch verschlimmern würde. Strand würde bald wieder hier auftauchen, mit diesem Mistkerl Matt Egan im Schlepptau.
Fade zog ein Holzschnittmesser aus der Tasche seines Overalls und hielt es in das dämmrige Licht, das durch die offene Tür der Werkstatt fiel. Er hatte noch eine letzte Mission. Wenn Strand und seine Schläger, die ein Nein als Antwort nicht akzeptieren würden, auftauchten, sollten sie seine Leiche in der Sonne verfaulen sehen – genau so, wie er viele seiner Opfer zurückgelassen hatte.
Es dauerte geraume Weile, doch schließlich setzte er die Klinge des Messers an sein Handgelenk und übte gerade so viel Druck aus, dass die Haut angeritzt wurde. Das Blut, das an seinem Arm herunterlief, sah schwarz aus.
Es war eine wunderschöne Nacht: warm, ein Himmel voller Sterne, zirpende Grillen. Etwas mehr Druck, und die dunkle Spur, die sich auf seinen Ellbogen zubewegte, wurde breiter.
Er konzentrierte sich noch mehr, doch das führte nur dazu, dass seine Hand zu zittern begann. Schließlich sank er zu Boden, heftig schluchzend, doch ohne eine Träne in den Augen. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal geweint hatte. Anlässe hatte es mehr als genug gegeben. Man sagte, dass es half, und vielleicht war es ja tatsächlich so. Welchen anderen Zweck konnten Tränen haben?
Er wusste nicht, wie lange er so dagelegen hatte, aber die Sterne waren schon ein ganzes Stück über den dunklen Himmel gewandert, als er aufstand und auf sein Haus zuging. Unbändige Wut verdrängte die bittere Hoffnungslosigkeit, die normalerweise jedes andere Gefühl dämpfte, das sich bei ihm an die Oberfläche wagte. Er wusch sich das getrocknete Blut vom Arm und wickelte eine Mullbinde um das Handgelenk. Dann ging er ins Wohnzimmer, wo er in einem Stapel Bücher über Holzbearbeitung wühlte. Schließlich fand er das, was er gesucht hatte, unter dem Sofa: ein Katalog mit kleinen Servomechanismen und Motoren, die beim Bau von Unterhaltungselektronik verwendet wurden.
Er konnte schon nicht mehr zählen, wie viele tapfere Männer bei dem Versuch, ihn zu töten, ihr Leben gelassen hatten. Und genau deshalb würde er sich diesem Wichser Hillel Strand nicht so ohne weiteres ergeben. Damit hätte er das Andenken der Männer beschmutzt, die so hart gekämpft und trotzdem verloren hatten.
Als er auf den Dachboden kletterte, fing die Wunde wieder zu bluten an, aber es war halb so schlimm. Oben angekommen, schlug er den Deckel einer alten Truhe zurück. Muffig riechender Staub stieg ihm in die Nase. Fade nahm die Waffen heraus, die er in der Truhe aufbewahrt hatte. Er war davon ausgegangen, dass er sie eines Tages brauchen würde, hatte sich aber nicht vorstellen können, woher die Gefahr kommen sollte.
Am Boden der Truhe fand er eine Hand voll alter Bilder: er und seine Teamkameraden von früher beim Trinken in einer Taucherkneipe, der fotografische Beweis für die raffinierten Scherze, mit denen er sich immer so viel Mühe gegeben hatte. Als er sich auf den alten Fotos musterte, hatte er das Gefühl, einen toten Verwandten zu sehen, den er nicht so richtig gekannt hatte. Vages Wiedererkennen, in das sich ein noch weniger
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