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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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den Code eingab. »Weihnachten gibt’s bestimmt Schnee.«
    Niemand ging darauf ein.
    Locatelli öffnete das letzte Schloss, kehrte zur Haupttür zurück und bat Melato und seinen Leibwächter einzutreten. In diesem Moment bemerkte er Direktor Belloni, der die Straße vor ihnen überquerte. Er schien ein wenig außer Atem, obwohl es erst eine Minute vor sieben war. Er trug seinen bunten Schal unter dem Filzhut.
    »Guten Morgen Herr Direktor!«, begrüßte ihn Locatelli.
    »Ich habe mich verspätet«, rief Belloni von Weitem.
    »Kein Problem.« Melato drehte sich zu ihm um. »Jetzt sind wir alle da.«
    Während sich Belloni näherte, kam von der anderen Seite eine Frau. Sie schien den Direktor zu kennen, denn sie begrüßte ihn mit ausholender Geste.
    »Ah, Frau Cattaneo«, sagte Belloni. »Sie sind um die Zeit schon auf den Beinen?«
    »Und Sie?«, erwiderte die Dame. »Sie haben doch nicht etwa auch am Sonntag geöffnet!«
    Belloni breitete die Arme aus.
    »Nun, was will man machen …?«
    Frau Cattaneo wandte sich Locatelli und den beiden anderen zu.
    »Sie lassen ihn zu viel arbeiten!«
    Locatelli lächelte und zwinkerte der Dame zu.
    »Ich verspreche Ihnen, dass wir ihn zu Weihnachten in Ruhe lassen!«
    »Das will ich hoffen!«, rief Frau Cattaneo. »Sagen Sie, Herr Belloni, wo ich schon einmal hier bin, hätte ich eine Frage zu dem Konto, das mein Mann …«
    »Nicht jetzt, Frau Cattaneo«, Belloni setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. »Es warten dringende Geschäfte auf mich, mit diesen Herren hier …«
    Er deutete auf Melato und seinen Leibwächter und gab gleichzeitig Locatelli ein Zeichen, sie hineinzulassen. Locatelli verstand den Wink sofort. Es galt, die Cattaneo auf höfliche Weise loszuwerden. Während Belloni und die beiden andern zu den Büros gingen, versperrte er ihr mit einem freundlichen Lächeln den Weg und sagte:
    »Ganz schön kalt, was? Zu Weihnachten gibt’s bestimmt Schnee!«
    Francesca stand ganz oben auf dem Sprungturm, bereit, sich ins Becken zu stürzen. Deutlich sah sie das Schwimmbad, die Körper in der Sonne, das blaue Rechteck des Wassers. Aber sie sprang nicht. Etwas hielt sie zurück. Etwas hinderte sie daran, sich in die Tiefe zu stürzen.
    Eine Kindheitserinnerung. Am Ende war sie sicherlich gesprungen. Aber sie erinnerte sich nicht mehr an den Augenblick des Absprungs. Stattdessen hatte sich in ihrem Gedächtnis jenes letzte Zögern eingeprägt. An diesem Morgen, während sie hinter einer Hecke in der Nähe der Junker-Bank stand, hatte sie dieselbe Art von Gefühl. Sie wusste, dass sie jetzt aus der Deckung herauskommen, dass sie sprechen und lachen musste. Aber sie wagte es nicht.
    »Guten Morgen, Herr Direktor!«
    »Ich habe mich verspätet.«
    »Kein Problem, jetzt sind wir alle da.«
    Salviati hatte sie davor gewarnt, in Panik auszubrechen. Denk an die Banalität der Szene, hatte er gesagt, und nicht an die Größe des Betrugs. Francesca atmete tief durch, richtete sich auf, machte einen Schritt, dann noch einen, dann war sie bereits draußen und musste ihren Part spielen. Sie begrüßte Belloni, indem sie ihm zuwinkte, und lief ihm eilig entgegen.
    »Ah, Frau Cattaneo«, erwiderte er. »Sie sind um die Zeit schon auf den Beinen?«
    »Und Sie?«, sagte Francesca. »Sie haben doch nicht etwa auch am Sonntag geöffnet!«
    »Nun, was will man machen …?«
    Francesca lächelte Melato, dem Leibwächter und dem Portier zu.
    »Sie lassen ihn zu viel arbeiten!«
    Der Portier erwiderte ihr Lächeln.
    »Ich verspreche Ihnen, dass wir ihn zu Weihnachten in Ruhe lassen!«
    »Das will ich hoffen!« Francesca sah dem Direktor ins Gesicht und musste sich alle Mühe geben, in ihrer Rolle zu bleiben. »Sagen Sie, Herr Belloni, wo ich schon einmal hier bin, hätte ich eine Frage zu dem Konto, das mein Mann …«
    »Nicht jetzt, Frau Cattaneo. Es warten dringende Geschäfte auf mich, mit diesen Herren hier …«
    Francesca war verblüfft. Hinter Bellonis Gesten, hinter seiner Kunststoffbrille, zwischen Bellonis Hut und Bellonis buntem Schal verbarg sich das Gesicht von Jean Salviati.
    Sie war darauf vorbereitet. Aber sich die Dinge vorzustellen, ist eine Sache, etwas anderes ist es, damit konfrontiert zu sein. Eine perfekte Imitation, nicht nur bezüglich der Maske, sondern auch, was die Art zu laufen, die Bewegung von Kopf und Händen betraf. Die Form der Nase war anders, ebenso wie die Augenbrauen und die Farbe der Augen. Das Kinn wirkte kräftiger, die Wangen voller. Hinter dunklen

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