Die letzte Nacht
Derweil kümmere ich mich um die Papiere. Schwarz oder mit Milch?«
Salviati nahm die Tasche von der Arbeitsfläche und legte sie hinter den Schreibtisch. Er schob ein paar Stifte beiseite und schuf Platz für das Tablett. Dann suchte er scheinbar etwas … er sah auf den Boden, wo er die Tasche abgestellt hatte. Er hob sie auf und beugte sich vor, um sie vor dem Schreibtisch zu deponieren.
»Da stellen wir sie hin«, murmelte er, »sonst ist sie nur im Weg … ich weiß, es ist ein bisschen lächerlich zu sagen, dass einem zehn Millionen im Weg sind, aber es ist so!«
»Sie nehmen ziemlich viel Platz ein, das stimmt«, bestätigte Melato mit einem angedeuteten Lächeln.
»Ich muss nur die Schublade hier aufbekommen, es ist alles etwas chaotisch, merke ich …«
Er machte sich hinter dem Schreibtisch zu schaffen und tauchte mit einer Zuckerpackung in der Hand wieder auf.
»Bitte sehr!« Er lächelte triumphierend. »Ich wusste, dass der Zucker irgendwo sein muss!«
Er schenkte Kaffee ein: schwarz für sich und Melato, mit einem Schuss Milch für den Leibwächter. Dann sagte er:
»Ich hole jetzt Ihre Papiere.«
Er stand auf und zog die Schubladen eines Karteischranks rechts von ihm auf. In Wahrheit befanden sich die Papiere in Bellonis Aktenmappe, Salviati hatte in der Nacht zuvor nachgesehen. Es handelte sich ganz einfach um eine Empfangsbestätigung. Er tat so, als suche er ein paar Sekunden lang, um das Bild des etwas zerstreuten Direktors Belloni zu untermauern. Dann hellte sich seine Miene auf und nahm einen Ausdruck an, der zu besagen schien: Nein so was, wie dumm von mir! Er nahm die Mappe, zog die Empfangsbestätigung heraus und hielt sie Melato hin.
»Bitte sehr, warten Sie, ich suche nur schnell einen Stift …«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon.
Ein unvorhergesehenes Ereignis. Wer rief am Sonntagmorgen um sieben im Büro an! Aber Salviati blieb ruhig. Er schnaubte nur und zeigte etwas Widerwillen, als er zum Hörer griff.
»Ja bitte?«
»Ich bin es, Giuseppe. Entschuldigen Sie die Störung, Herr Direktor, aber hier ist ein gewisser Herr Koller, der mit Ihnen sprechen will.«
»Koller?«
»Ja, ein Deutschschweizer.« Locatelli senkte die Stimme. »Ich glaube, er ist aus der Filiale in Zürich.«
Salviati wusste nicht, was er davon halten sollte. Er versuchte, Zeit zu gewinnen.
»Ich komme besser runter. Bin gleich da.«
»Gut, ich sag ihm, er soll warten.«
»Danke.«
Er legte den Hörer auf. Melato sah ihn fragend an.
Salviati hatte keine Zeit nachzudenken, zu begreifen, was vor sich ging. Laut Plan sollte Locatelli ruhig an seinem Platz sitzen und Francesca beim Herauskommen wieder in Erscheinung treten, um ihn abzulenken. Aber wenn Salviati jetzt hinunterging, ohne Schal und Hut, würde Locatelli den Schwindel bemerken. Und außerdem, was machte Koller am Eingang? Und wenn Koller wusste, wie Belloni aussah?
»Gibt es ein Problem?«, fragte Melato.
»Nein, nur eine kleine technische Angelegenheit …«
Zu viele Fragen, zu viele Unwägbarkeiten, um sie im Bruchteil einer Sekunde abschätzen zu können. Salviati blieb ruhig, denn das war sein Metier. Aber innerlich war er in Alarmbereitschaft. Und wenn es gar nicht Koller war? Wenn es ein Trick war? Aber wie sollte er das herausfinden, ohne nachzusehen? Andererseits konnte er nicht nachsehen, ohne sein eigenes Spiel aufzudecken.
»Eine technische Angelegenheit?«
»Oh, nichts Gravierendes …«
Jedenfalls hatte Salviati Alternativpläne. Einer von ihnen war den Umständen möglicherweise angemessen, zumindest wenn … aber er hatte keine Zeit. Es gab keine Sekunde zu verlieren. Er erhob sich und öffnete die Tür, die zum Büro von Bellonis Sekretärin führte.
»Die Papiere, die ich hierhabe, sind nicht die richtigen. Aber das haben wir gleich. Wenn Sie mir folgen würden … und nehmen Sie ruhig die Tasche mit …«
Melato nickte dem Leibwächter zu, der die Tasche mit dem Geld aufhob. Sie folgten Salviati in das Büro der Sekretärin. Er ließ die beiden vor dem Schreibtisch Platz nehmen und schüttelte mit bedauernder Miene den Kopf.
»Es tut mir leid, wegen der Unannehmlichkeiten. Ich habe Sie hierher gebeten, weil wir ein Fax aus Zürich abwarten müssen.«
»Ein Fax?«, Melato war erstaunt.
Salviati deutete in eine Ecke des Raumes mit dem Fotokopierer und einem Faxgerät, die in Bellonis Büro fehlten.
»Sobald das Fax kommt, wird Ihnen alles klar sein. Aber warten Sie, ich hole das Tablett mit dem
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