Die letzte Nacht
reagieren. Salviati wusste genau, was für ein Schlag ein unvorhergesehenes Ereignis während eines Überfalls ist. Der Kopf wird leer, Arme und Beine gehorchen nicht mehr. Die Angst ist das einzige Indiz dafür, dass du noch lebst.
Jonathan und die anderen ließen Salviati in einen Mercedes einsteigen, der neben Melatos Nissan parkte. Dann legten sie die Tasche mit dem Geld in den Kofferraum und fuhren los, ließen Bellinzona hinter sich.
Salviati wusste, dass sie ihn umbringen würden.
Aber was sollte er tun? Er war unbewaffnet, er wusste nicht, wo sie ihn hinbrachten. Und vor allem war er allein.
20
Essen wir bei uns in den Bergen?
Anita Pedrini war nicht ganz überzeugt. Aber Contini brauchte jemanden, der ihm den Weg bahnte. Wenn er erst mal in der Wohnung war, musste er sich etwas einfallen lassen.
»Sie müssen nichts Besonderes machen, meine Gute. Nur klingeln.«
»Mit dem Finger, so, ja? Oder besser so?«
Contini glaubte, nicht recht zu hören. Sie fragte ihn, mit welchem Finger sie den Knopf drücken sollte!
»Welchen Finger nehmen Sie normalerweise?«
»Oh, ich Ärmste, ich weiß es nicht! Normalerweise denk ich nicht drüber nach, nicht wie jetzt, wo alles gespielt ist!«
Contini seufzte.
»Versuchen Sie es mit dem Zeigefinger.«
»Sicher? Mit dem Zeigefinger?«
»Mit dem Zeigefinger.«
Anita Pedrini betrachtete ihren Zeigefinger, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
»Gut«, sagte sie, »dann nehme ich den.«
Anita Pedrini drückte den Klingelknopf.
Contini beobachtete alles aus seinem Versteck weiter oben im Treppenhaus. Er hoffte, dass Elton nicht Lunte roch und dass Anita Pedrini nicht allzu nervös wurde. Sie hörten das Klingeln in der Wohnung. Vielleicht schliefen noch alle. Oder waren sie gar nicht mehr da? Contini wollte der Frau gerade ein Zeichen geben, nochmals zu klingeln, als er meinte, Schritte zu hören.
»Ich bin’s, Frau Pedrini, Ihre Nachbarin.«
Die Tür ging auf und Eltons kräftige Gestalt erschien.
Anita Pedrini sagte mit dünner Stimme:
»Guten Morgen …«
»Was ist?«, fragte Elton.
Offenbar gab es Situationen, in denen Elton nicht nach Worten suchte.
»Ich Ärmste, am Ende haben Sie noch geschlafen!«
»Nein, ich war wach. Gibt’s ein Problem?«
Elton war auf der Hut. Er war bereits angezogen, trug einen braunen Anzug mit gelben Streifen. Contini fragte sich, ob die feine Kleidung dieses Gorillas nicht genauso trügerisch war wie dessen gedrechselte Sprache. Mit Sicherheit verbarg sich hinter dem Schein ein gewaltbereiter und selbstsicherer Elton, der schnelle Entscheidungen treffen konnte. Man wird nicht zum Wachhund von einem wie Forster, wenn man nicht ein bisschen Grips hat.
»Nun ja, ich störe so zeitig, weil ich ein Problem in meiner Wohnung habe und dachte, dass Matteo, oder vielleicht auch Sie, wenn es Matteo nicht gut geht, also dass …«
Anita Pedrini verhaspelte sich. Contini hatte sie gebeten, Elton unter dem Vorwand einer undichten Leitung in der Küche in ihre Wohnung zu locken.
»Matteo geht es nicht besonders gut«, erklärte Elton. »Was ist das Problem?«
»Ach, ich Ärmste, also, es gibt da so eine undichte Stelle, ja. Eine undichte Stelle.«
»Eine undichte Stelle?«
»In der Küche.«
»Hören Sie, meine Dame …«
»Das stimmt wirklich!«, versicherte Anita Pedrini. »Ich denk mir das nicht aus!«
An diesem Punkt merkte Elton offenbar, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht dachte er aber auch nur, die Alte sei verkalkt. Jedenfalls trat er einen Schritt vor.
Contini kam ein paar Stufen herunter.
Anita Pedrini, die Ärmste, wich zur Seite und bat Elton in ihre Wohnung. Er trat schweigend über die Schwelle und sah sich um. Contini nahm die letzten Stufen hinab und hoffte, dass sich Elton nicht gerade in diesem Augenblick zu ihm umdrehen möge.
»Ich Ärmste«, sagte Anita Pedrini. »Jetzt weiß ich gar nicht mehr, was undicht war. Ein Wasserhahn … ja, ja, eine undichte Stelle, ich erinnere mich nicht mehr genau …«
Contini glitt in Marellis Wohnung, ohne die Tür zu schließen. Er hoffte, dass Anita Pedrini ihre Rolle der verwirrten Alten weiter so gut spielen würde.
Nun musste er nur noch die Geiseln finden.
Hinter der Wohnungstür lag ein Vorraum, von dem ein schmaler Flur abging, an dessen Ende man ein Wohnzimmer erkennen konnte. An den Seiten vier verschlossene Türen. Contini lief eilig vor zum Wohnzimmer. Schwarze lederbezogene Sitzmöbel, ein 40-Zoll-Fernseher, ein Holztisch. Niemand zu sehen.
»Wenn Sie
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