Die letzte Nacht
eingesperrt.«
»Wie kommt es eigentlich, dass du soviel Schulden bei ihm hast?«
Matteo wandte sich mit leiser, beinahe monotoner Stimme an sie. Linas Antworten wirkten wie ein innerer Monolog, als wäre sie ganz allein, vor dem Kamin, mit sich selbst im Gespräch.
» Darüber gibt es nicht viel zu sagen.« Sie ordnete ihr Haar auf dem Rücken und starrte unentwegt in die Flammen. »Ich wusste nicht, was ich anfangen sollte. Ich hatte ein Sekretärinnen-Diplom und hab in einer Anwaltskanzlei in Nizza gearbeitet, aber ich fand es langweilig.«
»Was hat dein Vater gemacht?«
»Anfangs gehörte er noch dazu. Ich habe Jahre gebraucht, ehe ich es entdeckt habe. Er war immer unterwegs, ein ständiges Kommen und Gehen.«
»Hat er dir nichts erzählt?«
»Als ich erfuhr, dass er ein Dieb war, fand ich es unglaublich. Für mich war es eine schöne Sache, ich dachte nicht an die Gefahren oder ans Gesetz. Es … es war etwas, das mir das Gefühl gab, anders zu sein.«
»Wie anders?«
»Ich weiß nicht … so eine Art Freiheitsgefühl, wie ein geheimes Spiel, eine Sache nur zwischen uns. Natürlich habe ich ihn gebeten mich mitzunehmen, mich zu unterweisen. Aber er hat sich immer geweigert.«
»Bis er alles an den Nagel gehängt hat …«
»Um Gärtner zu werden! Kaum zu glauben. Mit fünfzig Jahren! Er hat sich in dieses Kaff auf dem Land zurückgezogen …«
»Aber du nicht.«
»Nein. Ich bin in Nizza geblieben und habe Kontakt zu seinen alten Freunden gesucht. Dann die Männer, die Spielabende. Ich habe zu viel ausgegeben. Forster macht eine Menge Geschäfte in Südfrankreich. Ich habe ihn kennengelernt. Als Tochter meines Vaters. Und dann …«
Schweigen.
»Und dann?«, murmelte Matteo.
»Das ist eine langweilige Geschichte.«
Schweigen. Matteo sagte:
»So wie meine. Deshalb müssen wir durchhalten, verstehst du?«
»Ja. Ich … ich gehöre nicht zu denen, die sich drücken.«
»Ich weiß.«
Er strich ihr langsam, mit beruhigender Geste übers Haar. Sie schaute weiter ins Feuer, und er lächelte ihr zu. Schließlich sah Lina auf und erwiderte sein Lächeln. Die Schatten spielten auf ihren Gesichtern. Hin und wieder kam ein Windstoß durch den Kamin, wirbelte ein paar Funken, ein wenig Asche auf, und legte sich dann wieder.
7
Der Detektiv
Elia Contini war ein Mann, der, wenn er dir einen Begrüßungskuss gab, aussah, als würde er an etwas ganz anderes denken.
Vielleicht war das auch so.
Francesca hätte längst daran gewöhnt sein müssen. Aber ihre Freundinnen gaben ihr immer wieder zu verstehen, dass ein Leben an Continis Seite absurd war. Nichtsdestoweniger erwiderte Francesca den Kuss und die Umarmung. Er klopfte ihr auf die Schulter, bevor er sich von ihr löste.
»Ist die Reise gut gelaufen?«, erkundigte er sich.
»Absolut problemlos.«
Es war typisch Contini, selbst eine Fahrt von Mailand in die italienische Schweiz als »Reise« zu bezeichnen. Francesca lächelte und griff nach ihrer Tasche.
»Ich geh duschen.«
Contini nickte. Sie standen unter dem Vordach des Hauses in Corvesco. Die Luft war von Gerüchen und Geräuschen erfüllt, die aus dem Wald kamen. Im Dorf brannten ungewöhnlich viele Lichter, wie das an Sommerabenden zuweilen vorkam.
Der Detektiv nahm wieder auf dem Korbsessel Platz und schlug sein Buch auf. Das Licht unter dem Vordach war schwach, aber Contini las niemals lange. Immer dasselbe Buch, eine Art Tribut an die Vergangenheit. O eitle Schatten, nur dem Auge wirklich! Dreimal umschlang ich ihn mit meinen Armen und dreimal schloss ich sie auf meiner Brust. Die Verse des Fegefeuers aus Dantes Göttlicher Komödie riefen Contini ins Gedächtnis, wie schwierig es war, zum Wesen der Dinge vorzudringen. Vor Staunen, glaub ich, ward mein Antlitz blass, weshalb der Schatten lächelnd sich zurückzog, und ich, ihm folgend, immer vorwärtsdrang.
Die Leere umarmen und dann einem Schatten folgen.
Manchmal fragte sich Contini, ob seine Arbeit nicht so ähnlich war. Wann kam es mal vor, dass er wirklich eine Frage beantwortete? Immer öfter war er in letzter Zeit von seiner Tätigkeit als Privatdetektiv enttäuscht. Aber was hätte er sonst tun sollen, und außerdem, so sagte er sich immer wieder, gab es Schlimmeres. Im Grunde war es eine Möglichkeit von vielen, sich durchzuschlagen und seine Hobbys zu finanzieren. Füchse zu fotografieren war zum Glück kein kostspieliger Zeitvertreib.
Später an diesem Abend würde er Francesca mit in den Wald nehmen. Er wollte ihr zeigen,
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