Die letzte Nacht
weiß, dass es mir nur um das Wohl meiner Tochter geht. Er weiß, dass ich jetzt Gärtner bin.«
Contini und Salviati sahen sich in die Augen. Im Licht der Lampe konnte man kaum die Pupillen erkennen.
»Mal sehen, was sich machen lässt«, sagte Contini.
Salviati berichtete ihm von seinem Treffen mit Matteo Marelli.
»Er ist kein Profi. Aber er hat die Informationen für den Überfall.«
»Hat er irgendwas von deiner Tochter erzählt?«
»Nichts. Aber morgen lassen sie mich Kontakt mit ihr aufnehmen.«
Salviati erklärte Contini den Plan Marellis. Einen Bargeldtransfer abzuwarten und sich für den Coup die Tatsache zunutze zu machen, dass das Ganze unter Wahrung größtmöglicher Diskretion abgewickelt werden sollte.
»Diskretion schön und gut«, meinte Contini, »aber scheint es dir nicht ein bisschen riskant? Bei zehn Millionen werden sie schon aufpassen.«
»Sieht so aus, als könnte Marelli alle Informationen über die Zeiten und Sicherheitsvorkehrungen beschaffen. Es gibt insgesamt rund zehn Übergaben, jedes Mal eine Summe, die ein paar Millionen Franken entspricht, Euro oder Franken in bar, immer eine andere Filiale. Man braucht nur die richtige zu wählen.«
»Eine Art Bankraub à la carte …«
»So ungefähr.«
Contini leerte sein Glas und stellte es auf das Tischchen. Dann sah er Salviati fest in die Augen.
»Und bist du bereit, auf die Erpressung einzugehen?«
»Beinahe«, antwortete der alte Dieb.
Contini sah ihn mit fragender Miene an.
»Also, ich würde gern herausfinden, wo meine Tochter ist, und sie befreien. Wenn es mir nicht gelingt … was soll ich dann machen?«
Schweigen. Contini wusste bereits, was Salviati ihn fragen würde, und nahm deshalb die Antwort vorweg.
»Ich kann dir helfen, deine Tochter zu suchen.«
Salviati nickte bedächtig. Dann murmelte er:
»Und wenn es nicht gelingt …«
»Und wenn es nicht gelingt, werden wir sehen. Ich bin kein Polizist, das hab ich dir schon gesagt. Aber es ist riskant, Jean … sehr riskant.«
»Wenn du nicht willst …«
»Sag das nicht.«
»Hm.«
Mit dem Gemurmel Salviatis endete das Gespräch. Jeder war in seine Gedanken versunken. Obwohl sie nicht miteinander sprachen, kam es zu einem Austausch. In gewisser Weise erzählten sich die beiden Männer die letzten zehn Jahre ihres Lebens.
So fand sie schließlich Francesca. Zwei unbewegliche Gestalten unter dem Vordach, die sich im Widerschein der Lampe abzeichneten. Sie blieb auf der Schwelle stehen und hüstelte. Keiner der beiden fuhr zusammen. Als hätten sie mir einer Unterbrechung gerechnet.
»Francesca«, sagte Contini, »das ist Jean Salviati. Ein alter Freund.«
Salviati erhob sich.
»Angenehm.« Er deutete eine leichte Verbeugung an. »Elia hat mir gar nicht erzählt … Verzeihen Sie, dass ich um diese Uhrzeit noch störe.«
Elia.
Francesca erwiderte nichts, aber sie wunderte sich, ebenso wie über die Worte »ein alter Freund«. Contini hatte wenige Freunde, und Francesca glaubte, alle zu kennen. Er spürte ihre Verwunderung und sagte:
»Wir haben uns seit rund zehn Jahren nicht gesehen.«
»Tja«, Salviati lächelte, »eine lange Zeit …«
Francesca merkte, dass die beiden Männer ähnlich gestrickt waren. Sie hatten sich jahrelang nicht gesehen und saßen dort wie zwei Kollegen in der Kaffeepause. Francesca war sicher, dass sie sich nicht einmal umarmt hatten. Sie lächelte still und sagte:
»Ihr seid bestimmt froh, euch wiederzusehen. Wie kommt’s, nach so vielen Jahren?«
»Das ist eine lange Geschichte …«, murmelte Salviati.
»Weißt du, Francesca«, Contini trat auf sie zu und berührte sie an der Schulter, »in nächster Zeit werde ich Jean bei einer wichtigen Sache helfen müssen.«
Jean. Francesca wunderte sich immer mehr.
»Eine wichtige Sache?«, fragte sie und legte einen Arm um Continis Hüfte. »Und welche?«
Contini drehte sich um und sah ihr in die Augen. Francesca begriff, dass er es ernst meinte. Er sprach langsam und mit leiser Stimme.
»Seine Tochter ist entführt worden. Wenn wir sie nicht finden, muss Jean Geld stehlen.«
8
Ausflug auf dem See
Luca Forster war weder Schweizer noch Amerikaner, noch Engländer oder Italiener. Er besaß tatsächlich mehrere Pässe. Nur jemand, der wirklich etwas davon verstand, konnte erkennen, welcher der echte war. Und es war zu vermuten, dass nicht einmal Forster selbst noch wusste, welche Muttersprache seine Mutter sprach.
Er lebte hauptsächlich von Hehlerei. Während Contini die
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