Die letzte Nacht
recht. Aber es ist nicht leicht, hier in Linas Wohnung zu sitzen und nichts zu tun. Kann ich morgen nicht mitkommen?«
»Forster kennt dich.«
»Aber ich pass auf. Lina ist in seiner Gewalt, bisher habe ich nicht mal mit ihr telefoniert … Ich will Genaueres wissen!«
Contini versuchte, ihn zu beruhigen.
»Wir müssen Geduld haben. Eins nach dem andern.«
»Ich weiß, ich weiß, tut mir leid. Es ist wie wenn man einen Coup vorbereitet.«
»Ganz genau.«
»Hör zu, Elia, du wirst mich für einen Idioten halten, aber …«
»Jean.«
»Ja?«
»Kein Problem, Jean. Ich ruf dich morgen an.«
»In Ordnung. Danke.«
»Ciao.«
Salviati legte den Hörer auf und lächelte gezwungen.
Wenige Tage zuvor war er noch Gärtner in einer provenzalischen Villa gewesen, mit Problemen wie Milben und Schildläusen. Jetzt arbeitete er stattdessen mit einem Privatdetektiv zusammen, um seine Tochter aus den Händen eines Mafioso zu befreien.
Salviati hatte in den letzten Jahren nicht mehr an Contini gedacht. Aber nach seinem Treffen mit Marelli und der Rückkehr in Linas Wohnung hatte er begriffen, dass er es allein nicht schaffen würde. Hier, zwischen all ihren Sachen, die Lebensmittel, die sie gekauft hatte, noch im Kühlschrank. Und als einziger Halt dieses Versprechen, ein Anruf, der niemals kam.
Das überstieg seine Kräfte. Zum Glück war ihm Elia wieder eingefallen. Die beiden hatten stets an der Grenze zweier voneinander entfernter Welten gelebt. Aber Salviati hatte sofort, gleich bei ihrer ersten Begegnung, begriffen, dass ihre Schicksale in irgendeiner Form verbunden sein würden. Er hatte diesen schroffen jungen Mann gesehen und sich gesagt: Der wird irgendeine Überraschung für mich bereithalten.
Stattdessen war er selbst es, der ihm die Überraschung präsentierte: ein verzweifeltes Aufbegehren gegen Luca Forster, einen der übelsten Schurken der italienischen Schweiz.
Salviati trat auf den Balkon, um Pfeife zu rauchen, und sah auf die Lichter der Stadt, die dunkle Fläche des Sees. Er wusste, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde. Da war dieses Schuldgefühl, weil er Contini in die Sache hineingezogen hatte. Und noch tiefer das andere Schuldgefühl: es zugelassen zu haben, dass Lina fortging, sie im Fahrwasser von Wetten und Schulden verloren zu haben.
Bis Forster sie, wie eine Spinne, gefangen genommen hatte.
Salviati blieb lange Zeit unbewegt, hob nur ab und zu die Hand, um den Tabak festzudrücken. Unbewusst und ohne es wirklich steuern zu können, reifte in ihm bereits ein Plan, die Junker-Bank um eine stattliche Summe zu erleichtern.
9
Dunkle Vorahnungen
Die Schweiz hat Angst vor ihrer Schönheit. All die saubergefegten Gehwege, all die wohlgepflegten Gärten und Hecken. Bis dich eines Sonntags, während du dein Auto putzt, Beklemmung überfällt. Und wenn uns jemand übers Ohr hauen will?
Aber auch der Betrug tritt diskret in Erscheinung. Ohne Geschrei, ohne Gewalt. Schritte, die über den Teppich einer Bank gleiten, Millionen von Franken, die man, wie einen guten Wein, der Reifung überlässt. Und Forster mit seinem Tee und seinem Lächeln, Forster, der Dealerei und Hehlerei zur Alltagsroutine eines Angestellten werden lässt.
Es ist ein schwer zu begreifendes Land. Contini liebte es genau deswegen: Er bewunderte die Klarheit und Besonnenheit der Schweiz, aber auch ihre zahlreichen Geheimnisse. Hinter jeder Sache verbirgt sich eine andere, wie bei jenem Mercedes mit den getönten Scheiben. Contini erkannte gerade noch rechtzeitig Forster neben dem Fahrer. Der Wagen hatte das Kennzeichen des Kantons Appenzell. Am Steuer saß dieser Kerl, der am Tag zuvor Tee serviert und die Jalousien heruntergelassen hatte.
Der Detektiv ließ den Motor an. Dann sah er zu Salviati und sagte:
»Ich verlass mich drauf …«
Salviati nickte:
»Du gibst die Befehle.«
Sie folgten dem Mercedes bis Tesserete, wo er auf einem Hof unterhalb der Kirche hielt. Forster steuerte zu Fuß auf ein altes, dreistöckiges Haus zu, das an die übrigen Gebäude des Komplexes angrenzte.
Kaum hatte Forster die Eingangstür geöffnet, entfernte sich der Mercedes. Contini und Salviati nahmen seinen Platz ein. Sie warteten ein paar Minuten, dann stiegen sie aus und drehten eine lange Runde, ehe sie sich Forsters Haus näherten, wobei sie achtgaben, nie von den Fenstern aus gesehen werden zu können. Contini bemerkte, dass auf den Straßen reger Verkehr herrschte.
Flötenmusik, von Tamburinen begleitet, zog die
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