Die letzte Nacht
benutzen, sondern eine von diesen Stahlflaschen. Es sind dieselben, wie sie Taucher verwenden, schau, für kurze Tauchgänge.« Gengio griff nach einer etwa zwanzig Zentimeter hohen Stahlflasche. »Normalerweise nimmt ein Taucher die komprimierte Luft direkt durch das Mundstück auf, aber es gibt einen Knopf, der das Gas so entströmen lässt, ganz einfach …«
Salviati versuchte, sich die Informationen zu merken. Coups, die mithilfe von Anästhetika durchgeführt wurden, hatten nie zu seinem Repertoire gezählt. Zu plump, zu aggressiv. Aber nun befand er sich im Krieg und musste mit allen Mitteln kämpfen. Er kaufte eine Stahlflasche, die bereits mit einem Betäubungsmittel gefüllt war, sowie eine Ersatzflasche. Im letzten Augenblick nahm er noch eine Ausziehleiter mit: Er hatte beinahe vergessen, dass das Fenster im zweiten Stock lag.
»Gut, dann bleibt mir nichts weiter, als dich nochmals zu ermahnen«, sagte Gengio, während er ihn zum Ausgang begleitete. »Denk dran. Wenn ein Gitter vor dem Fenster ist, musst du es aufbrechen, sobald du das Gas versprüht hast. Denn es wirkt sofort. Wenn du drin bist, legst du den Atemregler an den Mund des Opfers und …«
»Gengio.«
»Hab verstanden. Hab schon verstanden! Ich wette, es gibt gar kein Gitter vor dem Fenster.«
Salviati lächelte.
»Weißt du was, Gengio?«
»Was denn?«
»Ich muss gestehen, dass du mir all die Jahre gefehlt hast.«
Contini überquerte die Via San Gottardo, stieg ein paar Stufen hinauf und befand sich in der Via Motta. Er schlenderte sie entlang wie ein Tourist, der sich zufällig nach Massagno verirrt hat. Er kam immer mehr zu der Überzeugung, dass der Schlüssel zu der Entführung bei Matteo Marelli lag, und er hatte es eilig, mit ihm zu sprechen.
Ihm schien, dass Salviati zunehmend unruhiger wurde. Aber zehn Millionen zu rauben, um Lina zurückzubekommen, war der reine Wahnsinn, das wusste Contini. Die italienische Schweiz ist kein Ort, an dem sich die Idee, eine Bank auszunehmen, einfach so von einem Traum in Wirklichkeit verwandeln lässt.
Massagno klammert sich so eng an das große Lugano, dass man den Übergang von der einen Gemeinde in die andere nicht bemerkt. Dennoch ist Massagno nicht Lugano. Und im Grunde ist es stolz darauf. Abschüssige Straßen, gepflegte Gärten und eine Gemeindeverwaltung, die wie eine Glucke über die sechstausend Einwohner wacht … und dennoch, dachte Contini, während er in die Via Foletti einbog, dennoch lebt Matteo Marelli hier. Ein Betrüger mit räuberischen Ambitionen. Ein Frauenentführer. Was hat er inmitten von Zweifamilienhäuschen und blitzblanken Sportanlagen zu suchen?
Irgendetwas stimmte da nicht. Er hielt an und betrachtete die Gebäude einer Mittelschule, in denen sich nichts rührte mitten in den großen Ferien. In einer Ecke versuchten zwei Jungen auf ein Mäuerchen zu springen, ohne die Füße vom Skateboard zu nehmen. Manchmal fühlte Contini sich von der Normalität erdrückt. Die Sonne auf dem Beton, die Rufe der Jungen, die grüne Wiese. Wie war es möglich, zwei Seiten einer Medaille zu leben? Was hatten diese Skateboards zwischen dem Geflüster der Hehler verloren, inmitten der Schakale, die sich auf die Abfälle des Private Banking stürzten?
Vielleicht lag die Antwort hinter der Fassade eines namenlosen zweigeschossigen Gebäudes in der Via dei Sindacatori.
»Oh, ich Ärmste … heute mache ich sauber, entschuldigen Sie«, sagte die Nachbarin von gegenüber, eine Siebzigjährige in Kittelschürze und Hausschlappen. »Sie suchen Matteo?«
»Ja. Contini mein Name.«
»Angenehm. Anita Pedrini. Matteo hat sich schon seit einer Weile nicht mehr blicken lassen …«
»Wie lange genau?«
»Wenn Sie möchten, können Sie eine Nachricht bei mir hinterlassen.«
»Nein, nein, nicht so wichtig. Wir haben nur seit ein paar Tagen nichts von ihm gehört und machen uns ein bisschen Sorgen in der Familie … wissen Sie, ich bin sein Schwager.«
»Schwager?« Die Alte riss die Augen auf. »Ich Ärmste, ich wusste gar nicht, dass Matteo verheiratet ist!«
Contini seufzte.
»Geschieden, leider. Seine Exfrau ist meine Schwester.«
»Ah.«
»Er ist ein guter Freund. Wir haben ein sehr enges Verhältnis. Sagen Sie, da Sie ihn gut kennen, steckt er etwa in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
»Aber nein doch! Matteo! Normalerweise geht er nie aus dem Haus, außer wenn er mit so einem Mädchen zusammen ist … oh, ich Ärmste, verzeihen Sie mir!«
»Ich bitte Sie! Schließlich sind
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