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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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sie geschieden.«
    »Matteo ist jedenfalls ein guter Junge. Immer freundlich, immer hilfsbereit. Ich dachte, er sei im Urlaub.«
    Das war es, was nicht stimmte. Ein junger Mann, der in dieser ruhigen Gegend wohnte, ein beflissener Typ, häuslich … Schon möglich, dass er ein zweitklassiger Verbrecher war, aber Contini konnte sich nur schwer vorstellen, dass sich so jemand mit Forster verbündete, um eine Entführung zu organisieren. Und dennoch …
    »Hat er Ihnen, wo Sie zur Familie gehören, nicht gesagt, dass er Urlaub macht?«, fragte die Alte mit einem Anflug von Argwohn in der Stimme.
    »Nein, er lebt sein eigenes Leben. Allerdings machen wir uns ein bisschen Sorgen. Er ist ein Einzelgänger, aber vielleicht sollte er öfter mal unter Leute kommen …«
    Die Alte kicherte.
    »Hm … ich Ärmste, wissen Sie, Matteo hat diese Probleme gar nicht! Kurz bevor er abreiste, war er immer mit einer zusammen. Ich weiß das, weil die Wände dünn sind. Auch wenn man nicht möchte, kann man gar nicht anders als zuhören, verstehen Sie …«
    »Natürlich!« Contini versuchte nachzuhaken. »Vielleicht weiß seine Freundin, wo er hin ist. Haben Sie zufällig gehört, wie sie heißt?«
    Die Alte wurde misstrauisch.
    »Ich bin schließlich nicht indiskret! Außerdem ist sie nicht seine Freundin! Vielleicht eine Bekannte, oder so …«
    »Ach so, natürlich …«
    Contini bedankte sich bei der Nachbarin und schickte sich an, die Treppe hinunterzugehen. Aber die Alte konnte die Sache offenbar schlecht für sich behalten. Bevor sie die Tür schloss, rief sie ihn noch einmal zurück.
    »Also«, sagte sie mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen, »also, dieses Mädchen, mit dem er telefoniert hat, heißt Lina. Ich habe es einmal zufällig gehört, ich Ärmste, Sie wissen ja, dass die Wände …«
    »Lina?«
    »… dünn sind und … was haben Sie gesagt?«
    »Das Mädchen heißt Lina?«
    »Lina«, wiederholte die Alte. »Habe ich Ihnen doch gesagt, oder?«
    »Natürlich. Ich danke Ihnen. Einen schönen Tag noch!«
    Die Alte verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und zog die Tür zu.
    Seltsam, dachte Contini später, während er die Via San Gottardo hinauflief, um den Bus zu nehmen. Wirklich seltsam.
    Ein Entführer der mit dem entführten Mädchen telefoniert.
    In was für eine Geschichte bin ich da hineingeraten?

11
Ein Dieb in der Nacht
    Im Lauf seiner Karriere als Dieb und Betrüger hatte Jean Salviati gelernt, Ruhe zu bewahren. Aber an diesem Nachmittag spürte er, wie seine innere Anspannung wuchs.
    Er überprüfte das Material und testete mehrmals, ob Gengios Stahlflaschen funktionierten. Dann widmete er sich dem Garten seiner neuen Wohnung, zupfte Unkraut und stutzte die Zweige der Nussbäume. Schließlich setzte er sich vor die Eingangstür, um eine Pfeife zu rauchen und auf einen Anruf von Lina zu warten. Aber das Telefon blieb stumm.
    Nach dem Abendessen fuhr er nach Tesserete, darauf gefasst, lange warten zu müssen. Er sah Forster heimkehren, sah das irische Fest in Schwung kommen. Er ging spazieren, trank etwas in der einen oder anderen Bar und setzte sich schließlich wie ein müder Tourist auf eine Bank, um die Piazza Motta zu betrachten.
    Er trug dunkle Kleidung mit einem leicht eleganten Touch, für den Fall, dass es etwas vorzuspielen galt: grauer Anzug, schwarzes Hemd und schwarze Schuhe. Er wartete bis drei Uhr morgens. Um diese Uhrzeit war Tesserete wie ausgestorben: keine Iren, kein Lärm, keine Autos. Natürlich gibt es immer jemanden, der zu früher Morgenstunde nach Hause kommt. Aber Salviati musste es riskieren. Er parkte den Wagen in der Nähe des Hauses. Dann holte er ein Schild mit der Aufschrift: BAUSTELLE  – STRASSENSPERRUNG aus dem Kofferraum. Er stellte es am Ende der Straße auf, dort wo die Autos einbiegen, die aus Lugano kommen.
    Nachdem er ein paar Minuten gewartet hatte, nahm er die Ausziehleiter, die er bei Gengio gekauft hatte. Zusammengeschoben war sie kaum länger als einen Meter, aber sie konnte bis zu drei Metern erreichen. Er zog sie aus und lehnte sie an Forsters Haus. Dann befestigte er die gasgefüllte Stahlflasche am Gürtel und stieg hinauf, ohne Eile. Bis zum Fenster fehlte beinahe ein Meter, aber Salviati schaffte es, sich auf das Fensterbrett hinaufzuziehen.
    Wie in der Nacht zuvor war das Fenster nur angelehnt. Mit ruhigen Bewegungen löste Salviati die Stahlflasche vom Gürtel und stellte sie aufs Fensterbrett, dann führte er den Schlauch ins Innere und

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