Die letzte Nacht
sich unter ihren Schlafanzug. Gefangen?
»Was soll die Frage?« Lina riss die Tür auf. »Vor wem denn fliehen?«
»Lina, sag …«
»Außerdem, wieso sollte ich?«
Matteo antwortete nicht, ging nur einen Schritt auf sie zu. Lina trat durch die Tür hinaus in die Dunkelheit. Im Mondschein waren die Umrisse der Sennhütte kaum zu erkennen. Matteo blieb auf der Schwelle stehen. In Boxershorts und T-Shirt, seine Gestalt wirkte gespenstisch.
»Lina, was ist mit dir?«
»Ich weiß nicht.«
»Es ist drei Uhr nachts. Es ist kalt.«
»Ja, natürlich, ja!« Sie drehte sich mit einem Ruck zu ihm um. »Aber merkst du nicht, dass die Tage hier oben vergehen, ohne dass irgendetwas geschieht? Ist mein Vater einverstanden oder nicht?«
»Du weißt, dass …«
»Ich weiß gar nichts, hörst du! Ich weiß, dass wir seit einer Woche hier sind, ohne jemanden zu Gesicht bekommen zu haben, und mittlerweile … mittlerweile fang ich an zu glauben, dass Forster uns beide reingelegt hat!«
Lina schrie, ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von Matteos entfernt. Er legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie schwieg. Die Nacht ringsum war still. Hin und wieder hörte man das Plätschern eines Baches, irgendwo zwischen den Bäumen.
»Ich habe dir gesagt, dass wir Geduld haben müssen, Lina. Wenn du morgen deinen Vater anrufst, wird er uns helfen und …«
»Aber ich kann nicht, ich kann nicht! Begreifst du nicht, dass ich es nicht schaffe?«
Lina begann zu weinen. Sie entzog sich seiner Berührung und entfernte sich von der Hütte.
»Hör auf zu weinen, Lina, komm … der Plan ist perfekt, du wirst sehen, er funktioniert. Dein Vater ist ein Profi und …«
»Ich habe ihn hinters Licht geführt! Jetzt kann ich nicht mehr einfach abhauen … und du auch nicht! Begreifst du nicht, dass wir Forster ausgeliefert sind, Mann? Wir sind abgeschnitten von der Welt, verstehst du das nicht?«
Matteo öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann wieder. Lina sah ihn an und spürte, dass er die Lage erfasst hatte.
Sie hätte ihn am liebsten beschimpft, sich auf ihn gestürzt, aber sie konnte nicht aufhören zu weinen.
»Begreifst du nicht«, wiederholte sie mit leiser Stimme, »begreifst du nicht, dass der uns umbringt, der bringt uns um … der hat uns reingelegt, der …«
Linas letzte Worte verloren sich in einem Murmeln. Matteo stand da und sah sie an, während die Kälte ihm in die Knochen drang. Nicht einmal den Bach im Wald hörte er mehr.
Als sei in einem Augenblick die Welt verschwunden.
Salviati schätzte in aller Eile die Lage ab.
Sie hatten ihn auf frischer Tat ertappt. Er hatte keine Möglichkeit zu fliehen. Sie waren im Vorteil. Selbst ohne Waffe, da sich Lina in ihrer Gewalt befand.
Aber in diesem Fall hatten sie außerdem noch eine Pistole.
Hinter der Pistole erkannte er jetzt Eltons Gesicht im Halbdunkel. Dann nahm Elton ihm die Taschenlampe ab und leuchtete ihm ins Gesicht, und Salviati sah nichts mehr.
»Ich sehe, du willst dich nicht an die Spielregeln halten«, bemerkte Elton.
Er sprach in ruhigem Ton, wie ein Vater, der seinen Sohn beim Mogeln erwischt.
Salviati antwortete nicht. Es gab nichts zu sagen.
»Was hast du gesucht?«
Keine Antwort. Elton stieß ihn aus dem Büro.
»Gehen wir Signor Forster wecken. Ich bin sicher, er wird ein paar Fragen an dich haben.«
»Ich hab ihm ein Schlafmittel verabreicht«, flüsterte Salviati.
»Ah, sieh an! Welch Glück, dass ich über Nacht geblieben bin. Hier entlang, bitte.«
Salviati sah, dass er ihn in ein Badezimmer führte. Ein paar Sekunden lang überlegte er, was er vorhaben könnte. Dann spürte er Eltons Faust knapp oberhalb des Wangenknochens. Salviati stieß gegen das Waschbecken und fiel zu Boden.
»Was hast du gesucht?«, wiederholte Elton. Und ohne eine Antwort abzuwarten, noch bevor Salviati zu Atem kam, schlug er erneut auf ihn ein. Dieselbe Stelle.
Die Wange schien vor Schmerz zu zerspringen, während der Nacken auf den Rand der Badewanne prallte und der Rücken auf den Fliesen aufschlug. Salviati landete auf allen vieren. Er keuchte. Dann richtete er sich auf, ganz langsam, und sagte:
»Nichts Bestimmtes.«
Elton versetzte ihm einen Schlag in den Magen. Salviati hatte das Gefühl, als sauge ihm jemand die Luft aus den Lungen. Er beugte sich vornüber und spürte einen Tritt in die Rippen. Auf dem Boden flüchtete er in eine Ecke und rollte sich zusammen wie ein Igel. Vielleicht war er zu alt für das Handwerk.
»Vielleicht bin ich zu
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