Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
Vom Netzwerk:
versprühte das Gas.
    Eine Gefahr waren mögliche Alarmanlagen. Von der an der Eingangstür wusste Salviati und auch, dass sie ihm keine Probleme bereiten würde. Bewegungsmelder innerhalb der Wohnung konnten ihn allerdings in ziemliche Bedrängnis bringen. Im Schlafzimmer vermutete er zwar keine, doch gab es nur einen Weg, das herauszufinden. Salviati kletterte über das Fensterbrett hinein, hielt sich dabei ein Taschentuch vor die Nase. Kein Bewegungsmelder. Vorsichtig stieß er das Fenster weiter auf, um das Gas entweichen zu lassen. Dann trat er im Halbdunkel ans Bett, drückte Forster das Mundstück ans Gesicht und ließ ihn das Anästhetikum einatmen.
    Er hatte schnell zum Gebaren eines Verbrechers zurückgefunden. Er bewegte sich langsam und sicher, kontrollierte den Herzschlag. Die Routine von Jahren. Er zog die Leiter durchs Fenster, vergewisserte sich, dass Forster schlief, trat in den Flur und schloss die Tür hinter sich.
    Auf keinen Fall durfte er die Haushälterin wecken, oder noch schlimmer, Forsters Gehilfen. Am Abend zuvor hatte er sich die Lage der Zimmer eingeprägt: Sie befanden sich nicht im selben Stock, er konnte sich frei bewegen. Das Büro lag nebenForsters Zimmer.
    Er machte sich sofort ans Werk. Nicht, dass er darauf hoffte, einen Zettel mit Namen und Adresse des Ortes zu finden, wo sie Lina gefangen hielten. Er würde sich mit viel weniger zufriedengeben: vage Hinweise, Briefe, Belege. Oder irgendwelche Papiere, mit denen sich Forster unter Druck setzen ließ.
    Das Büro war geräumig und mit Papieren vollgestopft. An den Wänden große Gemälde und mehrere Bücherschränke mit Nippes, Krimskrams, Statuetten. Es sah aus wie das Zimmer eines Professors.
    Die Bibliothek bestand hauptsächlich aus juristischen Abhandlungen, Bildbänden, ein paar englischen Romanen, Kunstkatalogen und zahlreichen Wörterbüchern. Auf dem Schreibtisch offene Rechnungen, Antiquariatskataloge und alles in allem nichts Kompromittierendes. In den Schubladen, genauer gesagt in einer von denen, die abgeschlossen waren, entdeckte Salviati interessanteres Material.
    Sehr geehrter Herr Forster,
    ich erlaube mir, Sie daran zu erinnern, dass ein weiterer Zahlungsaufschub für die von Ihnen am 6.März dieses Jahres entgegengenommene Ware leider nicht möglich ist. Mein Klient wünscht eine Bezahlung noch vor seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten. Ich bitte Sie daher um die Überweisung des Betrages bis zum Ende des Monats. Mit bestem Dank für Ihr Verständnis verbleibe ich hochachtungsvoll,
    M. Patani
    Anw. Maurizio Pantani
    Der Anwalt Pantani forderte Geld im Namen mehrerer Mandanten, und das in ungehaltenem Ton. Salviati wurde hellhörig. Wie es schien, hatte Forster Liquiditätsprobleme. Deshalb bestand er darauf, dass Lina ihre Schulden bezahlte. Aber wenn …
    Salvati wurde jäh aus seinen Überlegungen gerissen.
    Eine Berührung am Nacken, ganz sanft, ließ ihn erstarren. Etwas Metallenes, Hartes. Kein Zweifel über die Natur dieses Gegenstandes. Salviati ließ die Briefe zu Boden fallen und die Arme sinken.
    Jemand hielt ihm eine Pistole an den Kopf.

12
Die Augen der Füchse
    Manchmal stellte sich Lina vor, das Ende der Welt sei gekommen.
    Sie und Matteo lebten hier, zurückgezogen in einer Sennhütte, und unterdessen war die Menschheit von der Erdoberfläche verschwunden. Alle tot: Männer, Frauen, Alte und Kinder. Sie und Matteo waren die einzigen Überlebenden, sie wussten es nur noch nicht.
    Es könnte wahr sein. Das Ende der Welt käme, ohne dass sie es merkten. Die Tage vergingen mit zermürbender Langsamkeit. Ringsum blühte der Sommer des Bavonatals. Hinter der Hütte, hoch oben, lag der weiße Gipfel des Basodino. Weiter unten nur Wald und riesige Felsblöcke, auf denen Gras wuchs.
    Nachts war es noch schlimmer. Lina wachte plötzlich auf, ohne zu wissen, wo sie war. Dann riefen ihr das schmale Bett und die schweren Decken die letzten Tage ins Gedächtnis. Ich bin in den Bergen. Abgeschnitten von der Welt. Ich bereite einen Bankraub vor. Ich führe meinen Vater hinters Licht. Ich bin gefangen.
    Gefangen?
    Von wem, von was? Und vor allem, weshalb? Lina tastete sich aus dem Zimmer. In der Herdstelle schimmerte die letzte Glut. Sie trat an die Tür und öffnete sie einen Spalt. Die kalte Luft schlich herein wie eine schlechte Erinnerung. Ich bin in den Bergen. Abgeschnitten von der Welt.
    »Was suchst du?«
    Matteos Stimme. Lina fuhr zusammen.
    »Nichts.«
    »Willst du fliehen?«
    Die kalte Luft schob

Weitere Kostenlose Bücher