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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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wenigstens ging es ihr gut, sie war am Leben. Vielleicht würden sie aus der ganzen Sache unbeschadet herauskommen.
    »Raspelli!«
    »Bin schon da.« Der Informatiker kam mit der Teetasse in der Hand zurück. »Ich war nur in der Werkstatt.«
    »Hör mal, das Problem …«
    »Eigentlich ist es nur ein Hinterzimmer, aber findest du nicht auch, dass Werkstatt schicker klingt?«
    »Raspelli, sie haben meine Tochter entführt, und ich muss zehn Millionen Franken rauben.«
    Raspelli schluckte.
    »Zehn Millionen … Wer hat wen, was?«
    Salviati seufzte noch einmal tief und erklärte Raspelli, in was für eine Falle er getappt war.
    »Zehn Millionen in bar!«, rief Raspelli. »Aber … aber wie transportieren sie die? In einem Koffer?«
    »Du hast keine Ahnung, wie viel Geld man in einen Koffer reinkriegt. Ein Bündel mit tausend Scheinen sind zwölf Zentimeter. Heute Morgen habe ich jedenfalls eine Nachricht von Marelli erhalten und bin sofort nach Zürich gekommen. Denn jetzt hängt alles von dir ab, Raspelli.«
    Raspelli hatte noch etwas Speichel zum Schlucken.
    »Wie meinst du das?«
    »Gehen wir was essen, dann erklär ich’s dir.«
    Das Mamma Mia Pasta & Pizza war ein italienisches Restaurant, dessen Name seine Züricher Herkunft verriet. Alles in allem aß man ganz gut, wenn man bereit war, beim Mozzarella ein Auge zuzudrücken. Der Eingang lag zur Straße. Nach hinten raus, in einem Innenhof, standen zwei große rote Schirme und drei Tischchen neben einem kleinen, sprudelnden Brunnen, den vor allem die Spatzen mochten, den jedoch die Tauben in Beschlag genommen hatten.
    »Es gibt zwei Transfers ins Tessin«, erklärte Salviati. »Der interessantere wird vermutlich der nach Bellinzona sein, da die Filiale dort kleiner ist. Aber ich weiß nicht, wann und wie das Ganze genau abläuft.«
    »Ah. Und was weißt du?«
    »Ich weiß, dass die Sache vertraulich erfolgen soll. Dabei sein werden nur der Direktor der Filiale, eine Sicherheitskraft und der Typ, der das Geld bringt. Sie wollen alles unter der Hand regeln. Es dürfte daher nicht allzu schwer sein, saubere Arbeit zu leisten. Man braucht nur einen guten Plan.«
    Raspelli kratzte sich am Kopf. Er hatte eine Menge Haare und jedes stand in eine andere Richtung ab. Ein ehemaliger Kommilitone hatte sich einmal einen Spaß daraus gemacht, das Phänomen durch eine Gleichung zu beschreiben.
    »Aber ich verstehe nicht, was ich damit zu tun habe«, sagte der Informatiker. »Ich hab keine Ahnung von solchen Sachen.«
    »Um den Überfall im Tessin kümmere ich mich«, versicherte Salviati. »Aber mir fehlen noch Informationen. Und diese Informationen befinden sich auf den Computern der Junker-Bank.«
    »Ich kenne jemanden bei der Junker-Bank«, meinte Raspelli. »Kommt ganz drauf an, wer die ganze Sache überwacht. Ohne die Passwörter und die Zugangscodes können wir nichts ausrichten, soviel ist klar. Aber…«
    »Aber?«
    »Aber wenn du mir hilfst, könnten wir es mit dem menschlichen Faktor versuchen.«
    Salviati aß in aller Ruhe. Er hatte eine Pasta Aglio Olio mit Chili bestellt, wobei merkwürdigerweise die Petersilie die Oberhand hatte. Raspelli aß eine Pizza Primavera: Zucchini, Aubergine, Grana Padano, Schinken und Rucola.
    »Der menschliche Faktor, natürlich«, sagte Salviati. »Aber ich muss schon wissen, wer und was genau.«
    Im Slang waren mit dem »menschlichen Faktor« die Männer und Frauen gemeint, die sich hinter den Passwörtern verbargen. Wenn sich schon das System nicht bezwingen ließ, so gab es doch immer besondere Spezialisten im Bezwingen von Leuten.
    »Genaueres werde ich dir in ein, zwei Wochen sagen können.« Raspelli schnitt seine Pizza in gleichgroße Stücke und befreite sich von den Mozzarellafäden. »Wann soll der Überfall stattfinden?«
    »Das ist eines der Dinge, die ich von dir erfahren will.«
    »Du bist lustig.« Raspelli grinste. »Kaum bist du zurück, schon soll ich Wunder vollbringen …«
    Später, als er auf die Tram wartete, dachte Salviati: Es kommt ins Rollen. Er hatte ein sonderbares Gefühl. Die Provence und der Garten von Madame Augustine schienen weit weg, während die letzten Coups, die er vor seinem Rückzug gelandet hatte, wieder deutlicher Gestalt annahmen. Salviati erinnerte sich an die Gesichter, die Worte, die ständige Sorge, ob alles an seinem Platz war, ob alle dasselbe Ziel hatten und auf dieselbe Weise vorgingen.
    Bevor er den Zug ins Tessin nahm, ging er noch ein wenig in den Straßen rings um den Bahnhof

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