Die letzte Nacht
Einverständnis. Es war vielmehr so, als ob beide in dieselbe Richtung schauen würden.
»Ich versuche, diesen Marelli zu fassen zu kriegen«, sagte Contini. »Und wer weiß, ob es mir nicht doch noch gelingt.«
»Hoffen wir’s.« Salviati schnitt die Salami sorgfältig in Scheiben. »Aber lass uns lieber an den Überfall denken.«
Contini sah ihn fragend an.
»Wir haben die Informationen von Marelli und auch die, die uns mein Freund in Zürich beschaffen wird. Das bringt uns einen Vorteil: Sie rechnen nicht damit, dass wir was wissen.«
Im Grotto ringsum herrschte Stille. Es war gegen sechs Uhr an einem Abend im August: Zwei, drei Stammgäste nahmen einen Aperitif, ein paar andere tranken Limonade. Aber die meisten würden erst später kommen. Unter dem Laubdach der Bäume, umgeben von nacktem Fels, hatte man das Gefühl, in der Zeit zurückversetzt zu sein. Als könne jeden Augenblick Pepito Bottecchi persönlich, mit seinem Akzent des aus Amerika ins Tessin heimgekehrten Emigranten, aus einem der Kellergewölbe auftauchen. Es war nicht der passende Ort, um über Banken, Geld und Überfälle zu sprechen … Contini fühlte sich in einer Welt gefangen, die nicht die seine war. Er sagte:
»Sie rechnen mit nichts, aber das Geld werden sie trotzdem bewachen.«
»Das ist das Problem«, bestätigte Salviati. »Man muss einen Trick finden, einen Weg, bei dem man keine Waffen braucht. Juristisch gesprochen ist es eigentlich kein Raub, sondern Diebstahl. Ich will kein Risiko eingehen.«
Contini nickte. Salviati war immer ein unbewaffneter Dieb gewesen. Teils, weil er seine Coups mit List und nicht mit Gewalt plante, teils, weil man in viel größere Schwierigkeiten gerät, wenn man mit Waffe erwischt wird. Vor allem aber, vermutete Contini, weil Salviati überhaupt nicht mit einer Waffe umgehen konnte.
»Was wir brauchen«, schloss der alte Dieb, »ist eine auf die Sekunde genau durchdachte Planung. Wir dürfen keinerlei Spuren hinterlassen. Ich habe Jahre gebraucht, um mich aus dem Umfeld zurückzuziehen, und ich will auch weiterhin nichts mehr damit zu tun haben.«
Contini wunderte sich über sich selbst. Er war Polizist, wenn auch Privatpolizist, er war ein Ordnungshüter. Wie konnte er hier herumsitzen und über Diebstahl und Raub sprechen? Sicher, es ging darum, Geld von zweifelhafter Herkunft zu stehlen, noch dazu auf Grund von höherer Gewalt. Aber warum nach Ausreden suchen? Vielleicht war der Grat wirklich schmal, vielleicht genügte ganz wenig, um alle Mauern niederzureißen: Vorsicht, Gesetzestreue, Gewohnheiten … Er verscheuchte diese Gedanken und fragte Salviati:
»Und sollen wir das Ganze alleine machen? Brauchen wir nicht Hilfe?«
»Ich habe diesbezüglich schon eine vage Idee, etwas, das meinen Exkollegen einen ziemlichen Schlag versetzen würde …«
Salviati sah aus wie ein Pokerspieler, der im Begriff ist, einen Bluff aufzudecken. Contini hatte beinahe Angst, die Karten zu sehen. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, aß etwas Speck und ein Stück Brot. Dann sagte er:
»Schieß los.«
»Ganz einfach«, Salviati senkte die Stimme. »Für die technischen Dinge werden wir notgedrungen auf einige meiner Kontakte zurückgreifen müssen, Händler, Informatiker und so weiter. Aber außer diesen will ich niemanden mit einbeziehen.«
»Und wie wollen wir das machen?«
»Wir müssen uns Amateure suchen.«
»Amateure?«
»Ganz normale Leute. Bürger, wie wir sagen. So können wir handeln, ohne in bestimmten Kreisen Spuren zu hinterlassen.«
»Bürger?«
»Leute, die bisher nur davon geträumt haben, eine Bank auszurauben. So wie du.«
»Aber ich habe nie …«
»Alle träumen irgendwann mal davon, eine Bank auszurauben.«
Später ging Contini seine Flöße zählen. Bevor sie das Grotto verlassen hatten, war erneut ein Anruf von Lina für ihren Vater gekommen. Salviati hatte ihn nur zögernd entgegengenommen, als fürchtete er schlechte Nachrichten. Aber Lina hatte lediglich gesagt, dass es ihr gut ging, ohne weitere Details. Contini hatte jedoch die Angst gespürt, die sich hinter dem ruhigen Tonfall von Jeans Fragen verbarg.
Und wenn ihm der Coup nicht gelingen würde? Schließlich war er seit Jahren aus allem draußen. Er war nur noch ein Gärtner und Raubüberfälle und Adrenalinschübe nicht mehr gewohnt.
Contini durchkämmte den Uferrand des Sammelbeckens. Aber er fand nur zwei Flöße. Zwei von fünf. Ein schlechtes Zeichen? Nicht unbedingt. Zwei Flöße hatten die Schnellen und
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