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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Untiefen überwunden, waren zwischen den Felsen im Bachbett hindurchgeglitten und lagen nun hier zu seinen Füßen. Zwei Flöße. Letztlich konnte das auch ein gutes Omen sein.
    Er ging nach Hause und stillte den Hunger des grauen Katers. Dann trat er hinaus unter das Vordach, um im letzten Abendlicht eine Zigarette zu rauchen. Er rauchte rund zehn Zigaretten am Tag. Er drehte sie am Morgen mit einem speziellen Tabak vor, und teilte sie bis zum Abend ein. Der Korbsessel knarrte, als sich der Detektiv erhob, um kurz darauf mit seinem Buch und einem kühlen Bier zurückzukehren.
    So gingen durch das stille Land wir hin; gleich Wandrern, die den rechten Weg gefunden und denen sinnlos scheint der alte Pfad. Contini schloss die Augen und stellte sich die weite Ebene im Licht der Morgendämmerung vor, mit zwei Männern, die endlich den Weg gefunden haben und nun in Eile sind. Er hatte das Gefühl, in dem Bild zu treiben, selbst dort zu sein, sich in dem Meer aus Gras zu verlieren und sich vom Glanz des Taus verzaubern zu lassen.
    Dann kam er wieder zu sich. Er schloss das Buch und ging, als es dunkel wurde, ins Haus. Ein paar Minuten lang widmete er sich seinen Kakteen. Er hatte ein kleines Gewächshaus, in dem rund zwanzig verschiedene Arten gediehen. Es war ausgerechnet Salviati gewesen, der vor Jahren die Vorliebe für Kakteen in ihm geweckt hatte. Momentan war er damit beschäftigt, ein Astrophytum auf eine junge Opuntie zu pfropfen. Er hatte die Stecklinge eine Woche lang im Dunkeln aufbewahrt, jetzt waren die Pflanzen reif für die Erde. Die Opuntie sah etwas mitgenommen aus, aber Contini war sicher, dass sie sich erholen und innerhalb von vier Monaten Blüten treiben würde.
    Etwas nagte in ihm. Einerseits spürte er, dass er das Richtige tat. Jean steckte in Schwierigkeiten, und er half ihm. Andererseits spürte er das Nahen einer Katastrophe. Für solche Dinge hatte Contini ein ziemlich gutes Gespür. Was sollte er tun?
    Er konnte so gut es ging versuchen, den Bankraub zu verhindern. Aber egal wie das Ganze ausgehen würde, musste er am Ende Jean zur Seite stehen. Die Lage stimmte ihn nicht gerade zuversichtlich. Keine Ideen, keine Hilfe, außer die Unterstützung von Francesca und diesen beiden anderen Freunden von Jean. Keiner, der jemals irgendetwas gestohlen hatte. Amateure. Wie hatte Jean gesagt? Bürger.
    Contini überließ die Opuntie sich selbst und zog sich die Handschuhe aus. Er konnte sich nicht konzentrieren, die ungewohnte Situation brachte ihn ganz durcheinander. Als Detektiv spürte er normalerweise einer Reihe von Fakten oder Personen nach, um Zusammenhänge aufzudecken, irgendetwas, das den Sinn des Netzwerks erhellte.
    In diesem Fall war er es dagegen, der das Netz spinnen musste.
    Er beschloss, in der Nacht in den Wald zu gehen, um nach seinen Füchsen zu sehen. Er hatte sie in den letzten Tagen, über die Suche nach Informationen zu Marelli, vernachlässigt. Die Jungen standen auf der Schwelle zur Selbstständigkeit: eine Zeit der Entdeckungen und normalerweise, für ihn, der großartigen Fotografien.
    Aber erst einmal wollte er etwas essen. Trotz der Wurst im Grotto Pepito hatte er noch Hunger. Der Kühlschrank quoll nicht gerade über, aber immerhin stöberte er vier Eier und etwas Milch auf. Er verquirlte die Eier, schmeckte alles mit ein paar Kräutern und gehackter Zwiebel ab und briet sich ein Omelette. Er aß es am Küchentisch und trank ein Bier dazu.
    Nach dem Essen war seine Unruhe noch immer nicht verflogen. Während er auf die Stunde der Füchse wartete, kam ihm der Gedanke, einen Film zu gucken. Etwas, das er nur tat, wenn er sehr unruhig war. Er legte eine Videokassette mit einem Western aus den Fünfzigerjahren ein. Wieder einmal ließ er sich von den Bildern in den Bann ziehen. »Ein gewaltiges Gebiet«, sagte Kirk Douglas angesichts des Missouri-Plateaus. »Das Einzige, was noch größer ist, ist der Himmel.«
    Contini kannte diese grenzenlosen Weiten nicht, die Region der Großen Seen mit ihren endlos befahrbaren Flüssen. Er war sein zwischen Bergen eingekeiltes Land gewohnt, seine in der Tiefe verborgenen Geschichten. Aber manchmal sehnte er sich nach einem Leben, in dem man Gefahr lief, nachts von den Blackfoot überfallen zu werden.
    Das Bavonatal hat zwei verschiedene Stimmen. Eine spricht die Sprache der Menschen: Wege am Rand der Steilhänge, Sennhütten auf den Kämmen, Almwiesen wie Seufzer im Gebirge. Die andere ist eine Stimme, die schon immer da war: das Rauschen

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