Die letzte Nacht
los, atmete durch … dann strich er mit den Händen über ihr Haar, zog sie an sich und küsste sie erneut.
Koller traute seinen Augen nicht. Der graue Züricher Abend war in einer Farbwolke explodiert. Das neue Lokal, eine ehemalige Fabrik in der Nähe des Escher-Wyss-Platzes, war frisch renoviert und ein bisschen wie eine Scheune eingerichtet. Mit Holzgeländern, Wagenrädern und Heugabeln an den Wänden, in einer Ecke lag sogar ein Strohballen. Natürlich fehlte auch Diskobeleuchtung nicht sowie Neonschriften an der Decke und ein riesiges Porträt von Jimi Hendrix.
Der ideale Ort, um sich gehen zu lassen und die Vernunft zu vergessen. Die Musik reichte von lateinamerikanischen Songs bis zu Nu Jazz. Es gab einen DJ , der für Stimmung sorgte, und einen Haufen hübscher Frauen.
Vor allem eine, die direkt vor ihm stand. Wie hieß sie gleich?
Rosa.
Koller kostete die Perfektion dieses Namens, seinen mediterranen Beigeschmack aus. Die durfte er sich nicht entgehen lassen. Es kam nicht allzu oft vor, dass es Koller gelang, in Begleitung heimzukehren. Jedenfalls hatte er garantiert keine Chancen bei jungen Frauen. Es sei denn, natürlich, er bezahlte sie. Aber an diesem Abend sollte alles perfekt sein.
»Nett hier, oder?«, sagte er zwischen zwei Musikstücken zu ihr.
Sie lächelte nur. Sie war nicht mehr ganz jung. Besser so. Koller fand sie aufregend, mit ihrem dunklen Haar und diesen südländischen Augen.
»Der geeignete Ort, um einen besonderen Abend zu verbringen«, fuhr Koller fort, der allmählich in Fahrt kam. »Ohne immer in die gewohnten Lokale zu gehen, meine ich.«
Rosa lächelte. Ein Lächeln, so zart wie ein Mondstrahl, dachte Koller. Gab es nicht ein Lied, das so ähnlich ging? Sie sah zu ihm auf und sagte:
»Du hast recht! Wenn ich bedenke, dass ich heute Abend eigentlich daheimbleiben wollte …«
»Das wäre zu schade gewesen.«
»Stimmt …«
»Man kann nie wissen, was so ein Freitagabend zu bieten hat, man sollte es immer probieren.« Koller fühlte sich beflügelt. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
Rosa lachte laut, aus voller Kehle, und warf den Kopf zurück. Koller bewunderte ihre Brüste, die sich unter der Bluse abzeichneten. Im Hintergrund kündigte der DJ ein Stück von Gerardo Frisina an: The gods of Yoruba. Rosa ordnete ihr Haar mit der Hand. Koller beugte sich zu ihr vor und fragte:
»Magst du noch was trinken?«
Matteo schob seine Hände unter ihr T-Shirt und ließ sie den Rücken hinaufgleiten. Sie begann zu zittern, und er schloss sie fester in die Arme, küsste ihr Gesicht, ihren Hals. Lina atmete schneller. Matteo legte ihr einen Finger auf den Mund. Sie küsste ihn, und er sagte noch einmal:
»Psst …«
Lina kniete auf dem Boden. Sie ließ sich nach hinten gleiten und zog Matteo mit sich. Er streichelte sie mit einer Hand, mit der anderen stützte er sich auf dem Fußboden ab. Wir sind verrückt, dachte er unaufhörlich, warum hauen wir nicht ab? Lina hatte kleine, spitze Brüste. Matteo spürte ihre Wärme, spürte, wie sie sich unter seiner kalten Hand zusammenzogen. Sie lagen beinahe vollständig ausgestreckt auf dem Boden übereinander. Lina legte einen Arm um seinen Hals und zog ihn langsam zu sich hinunter, um ihn auf die Schläfe, die Augen, den Mund zu küssen.
»Lina«, brachte Matteo heraus.
»Sag nichts«, erwiderte sie, »bitte, sag nichts.«
»Wir müssen fort, Lina …«
Lina küsste ihn und umschloss seine Schultern. Matteo lag praktisch auf ihr. Er rechnete jeden Augenblick damit, dass Eltons Pranke ihn packte und nach oben zog. Er glitt auf die Seite und drehte Lina mit herum, so dass sie schließlich auf ihm lag.
»Lina!«
Sie küsste ihn auf den Mund.
»Lina …«
Oft verdirbt einer am Ende alles. Aber Koller war ein Stratege. Wenn man ihm Zeit ließ, verstand er es, die Leute richtig zu nehmen. Bei der Arbeit fiel ihm das leichter, weil es dabei ums Geschäft ging. Hier dagegen, in einem Taxi auf der Badenerstrasse, war die Sache komplizierter. Aber die Regel ist immer dieselbe. Geben um zu nehmen. Koller war es gewohnt abzuwägen, bevor er seinen Zug setzte.
Die Situation war klar.
Koller: ein kultivierter Mann mittleren Alters, unverkennbar reich und unverkennbar angenehm im Umgang.
Rosa: eine gelangweilte Frau, die an einem verregneten Freitagabend ausgegangen war, um ein wenig Schwung ins Wochenende zu bringen. Eine alleinstehende Frau, die an diesem Punkt einfach sagen konnte: Wieso nicht?
Das Taxi hielt in einer
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