Die letzte Nacht
Wohnstraße im Seefeld-Quartier. Der Taxifahrer war ein kleiner Kerl, die Stirn unterm Haar versteckt. Seit sie vom Fiesta losgefahren waren, hatte er keinen Ton gesagt. Er deutete nur auf das Taxameter und wartete. Koller räusperte sich.
»Ich wohne hier …«
»Ah«, sagte Rosa und heftete in der Dunkelheit ihren Blick auf ihn.
Schweigen. Sie lächelte. Ein zartes Lächeln, dachte Koller. Wie ein Mondstrahl. Rosa wandte sich ab. Koller zupfte seine Krawatte zurecht und sagte:
»Ich dachte, dass du vielleicht, bevor ich dich nach Hause begleitete, noch was trinken magst …«
»Wieso nicht?«
»Wir müssen fort, verstehst du?«
»Vielleicht wollte ich dich schon küssen, seit ich dich das erste Mal im Kasino gesehen habe.«
»Lina! Wir … ich auch! Stell dir vor, ich …«
»Vielleicht hätte ich es eher tun sollen.«
»Lina, wir müssen jetzt hier raus. Willst du nicht freikommen? Willst du nicht, dass wir endlich für uns sind, statt in einer einsamen Hütte in den Bergen heimlich über den Fußboden kriechen zu müssen?«
Eine ziemlich lange Rede, um sie jemandem ins Ohr zu flüstern. Aber Matteo machte seine Sache gut, so gut, dass Lina auffuhr, als sei sie aus einem Traum erwacht.
»Ist alles bereit?«
Matteo nickte. Er hatte zwei Taschenlampen am Waldrand versteckt. Es war ihm gelungen, in dem winzigen, nur durch zwei Rigipswände abgetrennten Badezimmer das Fensterchen offen zu lassen. Wenn Elton nicht aufwachte, hatten sie eine Chance.
»Auf geht’s«, wisperte Lina.
Auf allen vieren über den Steinboden krabbelnd, näherten sie sich dem Bad. Matteo hatte das Gefühl, als würde sein Herzschlag in der Hütte widerhallen, als sei sein Atem ein Sturmwind. Aber Elton schlief weiter auf seinem Lager, ließ ihnen genug Zeit, ins Bad zu gelangen.
Jeden Abend sperrte Elton das kleine Fenster mit einem Vorhängeschloss ab. Aber ein Vorhängeschloss lässt sich in einer Minute knacken, Matteo hatte oft genug mit irgendwelchen Einbrechern zu tun gehabt, um zu wissen wie es geht. Außerdem rechnete Elton sicher nicht damit, dass sie sich nachts allein auf die einsamen Pfade des Bavonatals wagten.
Matteo war fest entschlossen. Was zu viel ist, ist zu viel. Er war bereit, das ganze Tal zu Fuß zu durchqueren, nur um Lina in Sicherheit zu bringen. Vor allem aber war er entschlossen, diese Angelegenheit zu beenden, die Pläne für den Bankraub über den Haufen zu werfen und … und dann? Lieber nicht dran denken. Jedenfalls mussten sie vor Forster auf der Hut sein. Matteo hoffte, dass Lina bei ihm bleiben würde, zusammen würde ihnen schon etwas einfallen.
Aber im Augenblick lag zwischen ihnen und der Freiheit ein nicht einmal fünfzig Zentimeter großes Fensterchen.
Contini und Salviati warteten im Auto. Beide waren gewohnt, sich in Geduld zu üben. Sowohl als Detektiv als auch als Dieb muss man viele Stunden mit Beobachten verbringen, sei es im Cafe mit einer Zeitung oder auf einer Parkbank.
»Auch als Gärtner«, sagte Salviati. »Auch das ist ein Handwerk, das einen Geduld lehrt.«
Contini murmelte eine unverständliche Antwort.
»Weißt du, Elia«, fuhr Salviati fort, während er sich Kaffee aus einer Thermoskanne einschenkte, »manchmal frage ich mich, ob ich nicht ein bisschen verrückt bin. Noch nie, noch nie in meinem Leben habe ich ein Ding mit Amateuren gedreht!«
»Aber diesmal geht’s nicht anders, oder?«
»Ich glaube nicht. Die Sache soll geheim bleiben.«
»Aber du hast den Informatiker und diesen Kerl eingeweiht, der dir das Equipment verkauft, und … na ja, auch Viola.«
»Das sind Freunde, die halten dicht. Jedenfalls hätte sich ein Profi nie auf so eine Sache eingelassen.«
»Also stehen wir schön da.«
»Ich wollte damit sagen, dass wir es machen, weil Forster uns dazu zwingt. Das sind nicht die richtigen Voraussetzungen für einen vom Fach.«
»Glaubst du, die Cortis werden sich korrekt verhalten?«
»Ich vertraue ihnen. Außerdem sind sie bei dem Überfall nicht direkt dabei. Abgesehen von den Fotos und den Vorbereitungsarbeiten leisten sie vor allem Unterstützung. Sie wohnen nur wenige Minuten von der Bank entfernt.«
Ein Klingeln. Es war Salviatis Telefon, das auf dem Armaturenbrett lag. Contini nahm es und sah nach.
»Eine Nachricht von Viola: ›Sind in der Wohnung, bereite jetzt Schlafmittel vor.‹«
»Gut«, sagte Salviati. »Viola hat immer gute Arbeit geleistet.«
Contini legte das Telefon auf das Armaturenbrett und sah zu Kollers Haus. Ein
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