Die letzte Nacht
sich in ihrem Leben noch nie Gedanken über das Abhören von Telefongesprächen gemacht. Sie wusste nicht einmal, ob es in der Schweiz legal war.
»Hör zu, Anna, ich hab es Jean versprochen, aber lass uns erst mal abwarten, okay? Solange wir nichts, sagen wir, allzu …«
»Willst du einen Rückzieher machen?«
»Nein, ich hab gesagt, dass wir ihm helfen, also helfen wir ihm. Aber wir dürfen uns nicht verrückt machen. Wir sind zwei erwachsene Leute und …«
»Und stehlen Erwachsene etwa nicht? Jean meint es ernst, du, auch wenn wir so tun, als sei alles nur ein Spiel!«
»Ein Spiel?« Anna spürte die Anstrengung, die es Filippo kostete, ruhig zu bleiben. »Du kannst sicher sein, dass das kein Spiel ist.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Das ist mir heute zum ersten Mal klar geworden.«
»Das freut mich. Wir reden heute Abend darüber, in Ordnung?«
»In Ordnung. Ciao, und noch frohes Schaffen.«
»Ciao!«
Anna beendete das Gespräch und blieb für einen Augenblick reglos hinter dem Regal »Varia und Comics« stehen. Sie hatte ihren Mann mitten während der Arbeitszeit angerufen. Und sie hatten nicht über Einkäufe oder die Wageninspektion gesprochen. Sie hatte ihn angerufen, um ihm ihre Gedanken mitzuteilen, das was sie empfand. Etwas, das sie seit mindestens drei Jahren nicht mehr getan hatte.
Und was hatte das zu bedeuten?
Anna lächelte still in sich hinein. Sie verwarf die These, dass Banküberfälle gut für das Eheleben sind. Sie kehrte hinter die Theke am Eingang zurück und half einem jungen Mann, einen Text über Soziologie zu finden.
Francesca Besson liebte Continis Haus in Corvesco. Die dicken, weißgetünchten Mauern, die dunkelgrünen Jalousien und das Vordach, von wo man auf das weiter unten gelegene Dorf blickte. Das Haus wirkte, ebenso wie Contini, altmodisch, aber auch zeitlos: Es hätte vor einer Woche oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet worden sein können. Dort lebte Contini mit seinen Füchsen, seinen Kakteen und diesen Briefen an niemanden. Sie hatte es längst aufgegeben ihn zu fragen, an wen er sie adressierte. Aber sie hatte es nicht aufgegeben, ihn zu verstehen. Während Contini Pilze klein schnitt, bereitete sie die Brühe für das Risotto zu.
»Warum erzählst du mir nicht, wie du Salviati kennengelernt hast?«
Contini hielt für ein, vielleicht zwei Sekunden mit dem Schneiden inne. Dann begann er erneut.
»Das ist eine Geschichte, die ich dir irgendwann mal erzähle. Aber nicht jetzt.«
»Warum nicht?«
»Weiß nicht. Vielleicht bin ich noch nicht bereit.«
»Und für den Überfall?«
»Was?«
»Bist du für den Überfall bereit?«
»Ist das hier eine Fragestunde?«
Francesca lächelte.
»Nein, ich habe nur darüber nachgedacht … wie wir es schaffen sollen, bis Dezember zu warten.«
»Na ja, im Grunde ändert sich nichts.«
»Ach nein? Wann hast du das letzte Mal einen Fall angenommen? Einen Auftrag, der bezahlt wird?«
Contini seufzte. Francesca ließ nicht locker:
»Und Salviati? Was wird er tun?«
»Ich hab ihm gesagt, er soll in die Provence zurück. Wenn er eine Idee braucht, kann er auch dort darauf warten, es bringt nichts, hierzubleiben und Miete zu zahlen.«
»Aber seine Tochter ist hier.«
»Sie haben sich seit Monaten, seit Jahren nicht gesehen …«
»Es ist seine Tochter, Contini, begreifst du das denn nicht?«
Nein, Contini begriff nicht. In letzter Zeit wollte er nichts mehr von dem Überfall, von Jean oder seiner Tochter hören. Nichts mehr von Forster und seinen Drohungen, von diesem Informatiker in Zürich und seinen Passwörtern.
»Ich will es nicht begreifen, Francesca. Ich warte ganz einfach bis Dezember.«
»Aber …«
»Wir sollten morgen noch ein paar Pilze suchen.« Contini drehte einen Steinpilz zwischen den Händen. »Wäre ein Jammer, es nicht auszunutzen.«
Francesca reagierte nicht. Sie machte sich daran, den Reis anzurösten.
»Magst du Rotwein?«, fragte sie.
Contini nickte.
»Jedenfalls muss es irgendetwas Wichtiges sein«, erklärte sie, während sie die Flasche entkorkte.
»Was?«
»Das dich und Salviati verbindet. Nicht jeder raubt eine Bank aus, weil ein Freund ihn darum bittet.«
»Und du? Du hast dich auch mit reinziehen lassen. Du bist keine Freundin …«
»Freundin von wem?«
Contini bemerkte ein Funkeln in Francescas Augen. Er begriff, dass er sich auf heiklem Terrain bewegte.
»Du bist keine Freundin von Jean. Du tust es für mich …«
Francesca starrte ihn unverwandt an.
»Und ich
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