Die letzte Nacht
bin dir dafür dankbar. Ich wünschte, ich könnte dir sagen … du weißt, dass ich’s nicht so mit Worten habe.«
Francesca tätschelte ihm die Wange. Die Aufgabe, das Risotto zuzubereiten, bewahrte sie vor weiteren heiklen Gesprächen. Sie aßen unter dem Vordach, während die letzten Sonnenstrahlen auf die Dächer von Corvesco fielen. Zu Francescas Erstaunen war es Contini, der auf das Thema zurückkam.
»Du hast recht, diese Geschichte vereinnahmt mich zu sehr. Du weißt, dass ich es gewohnt bin, auf eigene Faust zu arbeiten. Abgesehen davon, dass es sich um einen Diebstahl handelt, muss ich mich diesmal ganz auf Jean verlassen.«
»Vertraust du ihm nicht?«
»Jean vertraue ich. Ich selbst bin es, dem ich nicht vertraue. Aber wir werden sehen … ich habe mir unterdessen zwei Dinge überlegt.«
Francesca legte die Gabel aus der Hand und sah ihn an. Ein Contini, der sie sogar in seine Überlegungen miteinbezog, war absolut einmalig.
»Morgen werde ich mit Giona sprechen, ich will wissen, was er darüber denkt. Außerdem werde ich darauf bestehen, dass Forster dieses Treffen mit Marelli organisiert. Wenn es auch nur die leiseste Möglichkeit gibt, herauszufinden wo Lina ist und sie zu befreien, ohne diesen Überfall machen zu müssen … nun, ich werd’s probieren. Derweil …«
Contini schwieg und schien in Gedanken versunken.
»Derweil?«
»Derweil will ich wieder an meine Arbeit, an mein eigenes Leben und an uns zwei denken. Bis Dezember ist noch Zeit.«
»An uns zwei denken? Was meinst du damit?«
Ehe er antworten konnte, klingelte das Telefon. Francesca nahm einen Schluck Merlot und schüttelte den Kopf. Auf die eine oder andere Weise schaffte es Contini immer, den Fragen auszuweichen. Sie aß ihr Risotto, während das Telefon weiterklingelte.
Es war Jean Salviati. Er rückte sofort mit der Sprache heraus:
»Mir ist eine Idee gekommen.«
»Eine Idee? Heißt das, du hast dir überlegt, wie …«
»Es ist machbar. Ein Gedanke, der mir beim Angeln gekommen ist. Ich hab dir nicht gleich davon erzählt, weil ich noch ein paar Details überprüfen wollte. Wir haben Glück, Elia, alles in allem haben wir Glück!«
»Wenn du es sagst …«
»Es wird schwierig, aber es ist machbar. Früher war es eine meiner Spezialitäten. Natürlich nicht in einer Bank, nicht bei zehn Millionen.«
»Eben. Wie glaubst du, können wir …«
»Ich werde dir alles erklären. Der Plan ist ganz einfach. Beinahe filmreif, weißt du, wie im Kino.«
Contini war beunruhigt.
»Wie im Kino?«
»Ja, oder wie im Comic. Kennst du die Geschichte von dem Dieb mit der Maske, wie heißt er noch gleich … Diabolik, glaub ich.«
»Diabolik?«
»Genau, es wird so eine Geschichte à la Diabolik. Ich erklär’s dir später.«
»Wer ist Diabolik? Hör zu, Jean, ich möchte wissen, was …«
»Ich werde es dir erklären, sei unbesorgt. Ich gebe zu, die Idee ist etwas merkwürdig …«
»Aha.« Contini seufzte. »Etwas merkwürdig.«
»… aber manchmal sind die merkwürdigen Ideen die besten!«
»Meinst du?«
»Wirklich, Elia, wir können es schaffen!«
»Etwas merkwürdig«, wiederholte Contini. »Aber was meinst du mit merkwürdig?«
4
Der Glockenschlag
In den Bergen oberhalb von Corvesco lebt ein alter Mann. Er heißt Giona und ist Einsiedler. Er verbringt seine Tage damit, sich den Bart wachsen zu lassen. Hin und wieder bringt ihm jemand etwas Brot, eine Suppe oder auch eine Flasche Wein. Er lebt in einer Hütte, die an eine Höhle grenzt, in der Nähe des Tresalti. Er streift durch die Wälder wie eine Bergziege, geht auf die Jagd oder zum Angeln. Aber die meiste Zeit beobachtet er nur, wie die Sonne hinter den Bergen auftaucht und wieder verschwindet.
Giona kommt fast nie hinunter ins Dorf. Wer ihn sehen will, muss im Norden von Corvesco aufsteigen. Für Fremde ist der Weg nicht leicht zu finden. Man muss durch einen Kastanienwald und sich dann durch Tannen und Latschenkiefern schlagen. Links zeichnet sich der Gipfel des Monte Basso ab. Am Ende des Waldes liegt eine Almwiese, wo in der schönen Jahreszeit immer ein paar Hirten sind. An dieser Stelle taucht hinter einem kleinen Felskamm erneut der Tresalti auf.
Um keine nassen Füße zu bekommen, muss man von einem Stein zum andern springen. Und während man das Gleichgewicht sucht, kann es passieren, dass plötzlich, wie aus der Donnerbüchse, ein Ruf ertönt:
»Wer da?«
Contini hielt inne, ruderte mit den Armen und suchte nach einem festen Halt. Der alte Giona
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