Die letzte Nacht
dass der Überfall gelang. Aber dann hätten Salviati und Contini mit Forster fertig werden müssen. In ihren Gesprächen gingen Lina und Matteo nie auf diese Dinge ein. Anfangs hatten sie ständig das Für und Wider abgewogen. Später taten sie so, als ergäbe die Gefangenschaft keinen Sinn, als sei sie eine existentielle Bedingung ohne jeglichen praktischen Nutzen.
Elton war immer bei ihnen. Er, oder ein anderer von Forsters Männern, ein beflissener Typ, der ständig seine Brille zurechtrückte. Lina beachtete sie nicht, aber sie spürte, dass die beiden zu allem fähig waren.
Als sie heimgekehrt waren, zog sich Elton in seinen Bereich zurück. Lina fand Matteo am Küchentisch, wo er saß und Sudokus löste. Er verbrachte viel Zeit mit solchen Dingen: Kreuzworträtsel, Denksportaufgaben, Wortspiele. Lina sah lieber fern.
»Regnet es noch?«, fragte Matteo.
Er wusste es natürlich selbst. Es war vermutlich noch keine fünf Minuten her, dass er aus dem Fenster geschaut hatte.
»Ja, ein scheußliches Wetter«, antwortete Lina. »Aber das ändert nichts.«
Du darfst nicht die Hoffnung aufgeben, nur weil es regnet, gab sie ihm damit zu verstehen. Deine Hoffnung war auch für mich hilfreich.
»Allmählich wird’s kalt«, sagte er.
Bald ist Dezember. Das wird alles verändern.
»Wäre schön, ab und zu mal ins Kino zu gehen …«
Er zuckte mit den Augenlidern und begriff nicht. Dann erfasste er den Sinn des Satzes.
»Ja, wir sind noch nie im Kino gewesen.«
Da gibt es noch das Leben draußen und wir sollten es ausprobieren. Früher oder später.
»Wollen wir uns heute Abend nicht mal was Gutes kochen?«
Nur Mut, versuche durchzuhalten.
»Ja, dann denken wir wenigstens nicht länger an den Regen …«
Ich verspreche dir nichts. Aber ich will versuchen, wieder ein bisschen Mut zu fassen.
Liebten sie sich?
Hin und wieder fragten sie sich das. Ohne es sich zu sagen, natürlich. Sie hätten sich gern wenigstens eine Weile lang getrennt, ein wenig Abstand gewonnen. Um danach etwas ganz Gewöhnliches zu tun, zum Beispiel ins Kino oder in ein Restaurant zu gehen. Vielleicht wäre einer von ihnen zu spät gekommen.
Aber all das gab es nicht. Es gehörte nach draußen.
Die meiste Zeit dachten sie gar nicht daran. Manchmal ein paar leise gewechselte Worte oder auch nur ein Blick, sie spürten ein Freiheitsprinzip. Vielleicht überdauerte irgendwo in der Leere ihrer Tage ein Gefühl. Es war ein Glücksspiel, das sie wagten, eine gerade im Entstehen begriffene Geschichte, auf die sie setzten.
»Wollte Marelli es sagen oder nicht?«
»Warum ist das so wichtig?«
»Ich glaube, dass er jedes Wort geplant hat.«
»Wenn du meinst …«
Contini und Francesca aßen Paella. Sie saßen in Francescas Wohnung in Locarno, es war eines ihrer Spezialgerichte. Die Zutaten blieben immer dieselben: Huhn, Salsiccia, Knoblauch und Zwiebel, ein bisschen Safran und ein Schwung Garnelen. Bei einem der ersten Male, die sie sich begegnet waren, hatten sie diese Paella gegessen. Contini, mit seinem Bedürfnis nach Ritualen, legte großen Wert darauf, das Essen alljährlich zu wiederholen.
Aber an diesem Abend war der Detektiv zerstreut. Im letzten Monat hatte er einige kleine Aufträge angenommen: ein Scheidungsfall und eine Reihe von Diebstählen in einem Haushaltswarengeschäft, wo es darum ging, ohne großes Aufsehen den Angestellten zu finden, der auf diese Weise sein Gehalt aufbesserte. Er hatte den alarmierenden Zustand seines Bankkontos behoben, aber innerlich fühlte er sich nicht befreit.
Matteo Marellis Worte ließen ihn nicht los. Auch jetzt, da wir an den Anfang zurückgekehrt sind, jetzt, wo wir warten müssen. Jetzt, wo wir da sind, wo alles noch vor uns liegt. Warum hatte er, nachdem er seinen Hinweis gegeben hatte, einen Satz begonnen, den er nicht zu Ende sprechen konnte? Jetzt, da wir dort gefangen sind, wo … und prompt hatte Elton ihn unterbrochen. Marelli musste gewusst haben, dass Elton einschreiten würde. Warum den Satz dann überhaupt beginnen?
»Ich weiß es nicht«, sagte Francesca, »vielleicht hat er gedacht, Elton sei abgelenkt.«
»Glaub ich nicht.«
»Und warum dann?«
»Ich weiß es nicht, Francesca, ich weiß es nicht. Für mich liegt dieser Hinweis absolut im Dunkeln.«
»Aber weshalb denkst du die ganze Zeit darüber nach?«
»Ich habe mir die Aufnahme viele Male angehört. Einmal hatte ich einen Augenblick lang das Gefühl, irgendetwas wiederzuerkennen.«
Francesca schenkte Rotwein ein.
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