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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Zur Feier des Tages hatte sie einen Rioja gekauft. Sie hätte gern einen Abend verbracht, ohne über Salviati und den Überfall zu sprechen, aber Contini war wie besessen. Er und Salviati hatten erbittert gestritten, dann hatten sie sich ausgesöhnt.
    »Weißt du, Contini, dass ich dachte, du würdest es vergessen?«
    »Was?«
    Francesca seufzte. »Ich dachte, du würdest dieses Jahr unsere Paella vergessen.«
    »Na, hör mal!«
    »Für mich ist dieses Jahr etwas ganz Besonderes. Als wir uns kennenlernten, habe ich noch studiert, jetzt bin ich fertig. Es ist gewissermaßen das Ende einer Lebensphase.«
    »Das stimmt«, bemerkte Contini. »Und nun?«
    »Weiß nicht. Ich hätte Lust, etwas Neues zu beginnen, Orte zu entdecken und verschiedenen Leuten zu begegnen. Aber wer weiß, wo wir in einem Jahr sein werden …«
    »Wir werden hier sein.«
    Francesca nickte. Sie trank einen Schluck Wein. Ein Mann, der nur Dante liest, der Kassetten mit französischen Chansons hört, der mit den Füchsen lebt und der … der dich dazu bringt, eine Bank zu überfallen! Wie hatte sie es nur geschafft, an so einen Mann zu geraten?
    »Wir müssen Jean helfen, diese Sache durchzuziehen«, sagte Contini. »Danach haben wir Zeit für uns.«
    »Natürlich … wir müssen bis Ende Dezember warten, das weiß ich.«
    »Hast du gesagt, du würdest gern reisen?«
    »Vielleicht eine Stadt besichtigen.«
    »Irgendeine?«
    »In Nordeuropa. Museen entdecken, Restaurants … ein bisschen herumlaufen. Ich lerne gern Städte kennen.«
    Contini kaute den letzten Bissen. Dann schob er den Stuhl zurück und sagte:
    »Es ist schwierig, etwas kennenzulernen.«
    Francesca hatte es aufgegeben, ihn verändern zu wollen: Er würde sich nie für Kunst oder Romane begeistern und auch nicht fürs Kino. Aber er hatte eine merkwürdige Art, das Leben zu betrachten. Eine ruhige und gleichzeitig leidenschaftliche Art. Vielleicht liebte Francesca ihn gerade deswegen.
    »Wir bräuchten ein bisschen Zeit«, sagte sie zu ihm. »Vielleicht etwas mehr Beständigkeit.«
    Contini begriff, was sie damit sagen wollte. Die Wohnung war eine Mixtur verschiedener Leben. Bücherkisten aus Mailand, hellblaue Sessel, das zarte Licht der Schirmlampe, und an den Wänden, neben ein paar Aquarellen zwei oder drei Fotografien von Füchsen. Francesca wollte, dass sie beschlossen, wie sie ihr Leben gestalten würden.
    Aber er hatte Salviatis erloschenen Blick im Kopf, als dieser ihm sagte, dass er Gefallen daran fände, den Bankraub zu planen, und dass ihn das fertigmache. Und er dachte an jenes massive Gebäude in einer ruhigen Straße von Bellinzona, wo schon bald eine unauffällige schwarze Tasche eintreffen würde, die bis zum Rand mit Geld gefüllt war.
    »Weißt du Francesca, ich hätte niemals auf unsere Paella verzichtet …«
    »Ich weiß.«
    »Was ist ein Bankraub gegen eine Paella?«
    Francesca lächelte.
    »Nichts!«
    »In einer Bank gibt es alles, das stimmt, aber nicht diesen Rioja …«
    Er hob das Glas, um anzustoßen. Francesca tat es ihm gleich. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, erhob sie sich und kam um den Tisch herum. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern, beugte sich vor und küsste ihn. Er stand auf und nahm sie in die Arme.
    »Es fehlt wirklich nicht viel«, murmelte er, »es fehlt …«
    »Ssst!«, unterbrach sie ihn. »Es fehlt nichts.«
    Diese Telefonate waren der Augenblick, in dem die Welt dort draußen ein Stück näher rückte. Das geschah einmal pro Woche, unter Eltons Aufsicht. Allerhöchstens ein paar Minuten lang.
    Dennoch gewährte die Entfernung eine Vertraulichkeit, zu der sie vis-a-vis nicht fähig gewesen wären.
    »Hallo, ich bin’s.«
    Er legte immer eine Pause ein. Als sei er überrascht, sie zu hören.
    »Lina«, er wiederholte immer ihren Namen, »Lina, wie geht es dir?«
    »Sie behandeln mich gut«, antwortete sie immer. »Mach dir keine Sorgen.«
    Matteo zog sich gewöhnlich in ein anderes Zimmer zurück. Manchmal sprach Lina von ihm. Aber es war ein Thema, das sie nie vertieften. Meistens wechselte ihr Vater das Thema:
    »Ich versuche, die Geranien vor dem Frost zu schützen. Die Enziane, die im Oktober geblüht haben, habe ich ins Haus geholt …«
    Lina hörte zu. Sie verlor sich in der etwas heiseren Stimme ihres Vaters, in seinen dem Französischen entliehenen Redewendungen. Es waren schleppende Gespräche mit langen Pausen über unbedeutende Dinge.
    »Gestern habe ich mit Elia gesprochen. Es ist nicht einfach für

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