Die letzte Nacht
verliehen. Wenn er die Sache nicht vorantrieb, würde sich Direktor Belloni am Montagmorgen beim Betreten des Büros ziemlich wundern. Und Katia würde in Schwierigkeiten geraten.
Aber Salviati hatte keine Bedenken. Er wusste, dass sein Plan gut war. Er hatte die Filmaufzeichnungen von Filippo Corti bis zum Umfallen studiert. Er kannte alle Angestellten ganz genau, und er hatte mehrfach in Zeitlupe die Ankunft Bellonis mitverfolgt. Außerdem hatte er Belloni angerufen, sich als Kunde ausgegeben und lange mit ihm gesprochen. Er verfügte über alles nötige Material. Zwei Stunden vor dem Überfall würde er jener Idee Gestalt verleihen, die ihm an einem Sommernachmittag, als er versucht hatte, einen Fisch zu überlisten, gekommen war.
Er hatte die Junker-Filiale in Bellinzona noch nie von innen gesehen. Er wollte kein Risiko eingehen. Salviati hatte Katia gebeten, ihm einen Plan und ein paar Fotos der Büros zu liefern. Einmal drin, würde er wissen, wo er hin musste.
Nach der ersten Inspektion war er auch nicht mehr nach Bellinzona gekommen. Ein Dieb muss den Ort, an dem er zuschlagen wird, meiden. Er muss das Umfeld kennen, ohne dass das Umfeld ihn kennenlernt. Salviati hatte zu dem Gebaren zurückgefunden, das er sich im Lauf seiner langen Karriere angeeignet hatte. Innerhalb weniger Monate hatte er den Gärtner, der zu werden ihm gelungen war, zum Verschwinden gebracht.
Würde er es schaffen, sich ein weiteres Mal zu verändern?
Würde er in die Provence zurückkehren können? Und Lina, Filippo und Anna, Elia … würde es ihnen nach ihrem Traum von einem Bankraub gelingen, das Leben wieder in den Griff zu bekommen?
Salviati sah auf den Fluss. Er erwartete keine Antwort. Alles was er tun konnte, war einen Schritt nach dem anderen zu machen. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und blies eine Rauchwolke aus. Er spürte, dass in dem dunklen Wasser, in dem Gewirr der Zweige und dem Himmel über dem Fluss, der Schlüssel zu allem lag. Zu Forsters Geschäften und Linas Zerbrechlichkeit, zu Elias Schweigen und auch zu den Millionen, dem Geld, das absurderweise Freiheit verhieß. Salviati paffte in kurzen Zügen. Eine Bank auszurauben ist nicht schwer, dachte er, schwierig ist es, frei zu bleiben. Und um es zu schaffen, musste man diesen Schlüssel kennen, diese geheimnisvolle Sprache des Flusses, der Bäume, des Himmels …
Wir werden Geld stehlen, wiederholte Anna im Stillen, wir werden wirklich Geld stehlen. Samstag, 19. Dezember. Die Spannung war beinahe unerträglich. Jeglicher romantische Aspekt der Operation war verflogen. Abgesehen davon, dass der größte Teil bereits an dem Tag zunichtegemacht worden war, als der Butler versucht hatte, sie zu bestechen. Da hatte Anna endgültig verstanden, dass es sich nicht um ein Spiel handelte. Sie war aufgestanden, zur Arbeit zurückgekehrt und hatte Salviati und Contini alles erzählt. Aber Salviati hatte nicht die Fassung verloren.
»Sie sichern sich ab, das ist alles.«
»Tun wir das auch?«, hatte Contini gefragt.
Aber Salviati wollte diese Frage nicht beantworten.
Und nun, am Tag vor dem Überfall, waren Anna und Filippo so nervös wie zwei Katzen vor einem Gewitter. Filippo war kurz auf den Markt gegangen und mit einem gebratenen Hähnchen zurückgekehrt. Anna hatte ein paar Kartoffeln geschält und einen Salat zubereitet. Während des Essens hatten sie einen halben Liter Roten getrunken.
»Ich fühle mich etwas träge«, sagte er nach dem Kaffee.
»Wollen wir spazieren gehen?«, schlug Anna vor.
»Weiß nicht. Wo soll’n wir denn hin …?«
Am Ende beschlossen sie, ein wenig Sport zu treiben.
Post prandium deambulare ,heißt das Sprichwort. Filippo zitierte es ständig, und an diesem Tag machte er keine Ausnahme. Aber Anna fand, dass es merkwürdig war, sich körperlich zu betätigen, als sei nichts geschehen.
»Ich weiß nicht so recht«, meinte Filippo, während sie mit dem Auto in Richtung Magadinoebene, südlich von Bellinzona, fuhren. Anna schüttelte den Kopf:
»Es gibt keinen Sinn, weiter darüber zu sprechen. Es lässt sich nicht rückgängig machen.«
»Und wenn etwas schiefgeht?«
»Ich mag nicht dran denken.«
»Ich denk aber dran.«
Anna erwiderte nichts.
In dieser Laune war Filippo besser in Ruhe zu lassen. Er hatte seine Einstellung zu dem Überfall immer wieder geändert. Zuerst Skepsis, dann Neugier, dann eine stoische Haltung: unschöne Geschichte, aber wir müssen Jean helfen. Und jetzt eine Art düsteres Gefasstsein auf das
Weitere Kostenlose Bücher