Die letzte Nacht
sein. Auf jeden Fall vor sechs Uhr.«
»Wir werden da sein.« Jonathan rückte seine Brille zurecht. »Sie werden sehen, dass es keine Probleme gibt. Die kommen um sieben, stimmt’s?«
»Ja, so ungefähr.«
»Sobald sie sich das Geld geschnappt haben, werden wir uns sie schnappen.«
Hoffen wir’s, dachte Forster, hoffen wir’s. Er hatte noch immer das Brummen der Fliege im Ohr. Und ihm war klar, dass er bis zum 20. Dezember Mühe haben würde, nachts zu schlafen.
Nein, dieses Jahr würde er nicht zur Ruhe kommen. Nicht einmal um Weihnachten.
14
Happy End
Am Freitagabend war die Junker-Bank praktisch ausgestorben. Lediglich vier Frauen bewegten sich zwischen dem Foyer und den Büros. Sie trugen die Arbeitskleidung der Pulirapida AG und hatten sich die Arbeit aufgeteilt. Als Vorarbeiterin war es Katia Paolucci nicht schwergefallen, sich das Büro des Direktors und seiner Sekretärin zu sichern.
Normalerweise kümmerten sich andere Personen um die Reinigung der Junker-Bank. Aber in dieser Woche waren die Schichten ein wenig durcheinandergeraten. Das kam kurz vor Weihnachten öfters vor.
Katia hatte nicht verstanden, was Contini vorhatte. Vor allem hatte sie nicht verstanden, was Continis Freund wollte. Ein sympathischer Kerl, der darauf bestanden hatte, sie zu treffen, und ihr einen geheimen Auftrag anvertraute. Katia hegte den Verdacht, dass Contini davon selbst nichts wusste.
»Es ist ein Notausgang«, hatte er ihr augenzwinkernd erklärt.
Dabei handelte es sich bloß um ein Tablett auf einem Tischchen neben dem Schreibtisch. Drei Tassen und ein Milchkännchen. Wie konnte das ein Notausgang sein? Vielleicht hing es mit der anderen Bitte von Continis Freund zusammen, aber Katia schaffte es nicht, einen Zusammenhang herzustellen.
Sie tat jedoch alles, worum man sie gebeten hatte.
In den letzten Jahren hatte Katia meistens im Büro gearbeitet. Sie hatte nichts dagegen, mal wieder die Arbeit vor Ort zu kosten. Die Leute denken, Putzen sei eine dumpfe Tätigkeit, aber wer helle ist, kann dabei eine Menge lernen. Nach Sonnenuntergang verändern die Flure einer Bank ihr Gesicht. Die Gemälde an den Wänden wirken älter, die Möbel abgenutzter. Katia hatte das Gefühl, den letzten Sommertag in einem Ferienhaus zu verbringen.
»Katia!«, rief eine ihrer Kolleginnen vom unteren Stockwerk. »Hier bin ich fertig. Soll ich die Toiletten im Ersten machen?«
»Okay«, rief Katia zurück. »Ich komme auch gleich!«
Die Schreibtische waren leer. Die Clean Desk Policy der Bank gestattete es nicht, dass Papiere offen liegen blieben. Dennoch mangelte es in manchen Räumen nicht an Unordnung: Aschenbecher auf Fensterbrettern, Bananenschalen im Papierkorb. Als habe ein Zauber die Welt angehalten und das Leben ausgelöscht. Katia versuchte zu erraten, was für ein Typ der Direktor war. Sicher ein ganz gewissenhafter: In seinem Büro lag alles an seinem Platz.
Was Contini wohl vorhaben mochte! Katia arbeitete seit Jahren mit ihm zusammen, aber normalerweise vertraute er ihr nur kleine, einfache Arbeiten an. Unterlagen abfotografieren oder den Abfall durchstöbern. Noch nie hatte sie einen Plan zeichnen, oder gar Gegenstände in eine Bank einschleusen sollen.
Katia bückte sich, um eine Büroklammer vom Teppichboden aufzuheben. Sie legte sie auf den Schreibtisch, neben einen Stapel weißen Papiers. Dann zog sie den Staubsauger über die Türschwelle, wandte sich um und warf einen Blick zurück in den Raum. Alles in Ordnung. Sie schaltete das Licht aus. Im bloßen Licht der Straßenlaterne wirkte das Büro noch altertümlicher. Als sei der Computer nur eine Schreibmaschine, und mit ein bisschen Fantasie konnte man sogar ein Tintenfass mit Gänsefeder erkennen …
Was für eine merkwürdige Vorstellung!
Katia schloss die Tür.
»Das Büro ist fertig!«, rief sie in Richtung Toiletten. »Brauchst du meine Hilfe?«
Am Samstag früh ging Salviati zum Fluss Tessin. Es war die Stelle, wo ihm beim Angeln die Idee gekommen war. Damals waren die Böschungen grün und um die Felsen schwirrten die Mücken. Jetzt sah der Fluss wie ein graues Band aus, das hier und dort von weißen Wellenkämmen durchbrochen wurde. Salviati hatte eine geschwungene Pfeife im Mund. Er setzte sich ans Ufer und lehnte sich an eine Steinmauer.
Nach dem, was Katia Paolucci am Abend zuvor für ihn erledigt hatte, war der Überfall unvermeidbar. Die Angestellte der Pulirapida AG hatte durch ihr Handeln Salviatis Plänen ein erstes Stückchen Realität
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