Die letzte Nacht
Angestellte mit hineinzuziehen.
»Gut«, schloss Koller, »dann auf Wiederhören und Ihnen schöne Weihnachten! Sie werden sich doch hoffentlich ein paar freie Tage gönnen?«
»Natürlich, das heißt, um ehrlich zu sein, nicht vor Januar. Nach Silvester, vielleicht ein paar Tage in den Bergen …«
Belloni wurde bewusst, dass er das gesamte Gespräch über wie ein Papagei »natürlich« wiederholt hatte. Die Verbindungen mit Zürich gehörten nicht gerade zum angenehmen Teil seiner Arbeit. Nachdem er sich von Koller verabschiedet hatte, wies er Beatrice telefonisch an, die Adresse von Herrn Claudio Melato zu notieren. Er erklärte ihr, dass er ihn am Sonntagmorgen zu einem kurzen Dienstgespräch treffen würde.
»Oh, Herr Direktor!«, rief die Sekretärin. »Dann müssen Sie sogar am Sonntag arbeiten.«
»Was soll’s … das sind eben die berufsbedingten Unwägbarkeiten!«
Koller reihte die Stifte vor sich auf dem Schreibtisch auf und wartete darauf, dass der Tee abkühlte. Neben dem Tee und einem Hefekringel lag die Akte zum Konto 522.776. FK . Koller war froh, den endgültigen Wechsel von Enea Dufaux zur Junker-Bank bis zum Ende des Jahres vollziehen zu können.
Diese absurde Untersuchung der Sicherheitsabteilung hatte ihn einen Haufen Zeit gekostet. Wenn er daran dachte, dass Fischer am Anfang den Busenfreund gemimt hatte: Ich sag es dir im Vertrauen, pass auf, es gehen Gerüchte um … Insgeheim hielt Koller das alles für Märchen. Er war als Letzter gekommen und musste der Paranoia, die in den Schweizer Banken herrscht, Tribut zollen.
Aber nach dem 20. Dezember würde auch der letzte seiner großen Fische vertraglich an die Junker-Bank gebunden sein. Die Millionen, die nach Bellinzona gingen, waren eine Art Pfand. Ihr wascht mir die sauber, ich vertraue euch dafür mein Geld an.
Er trank vorsichtig einen Schluck Tee und beschloss, ein wenig Zucker hineinzugeben. Er durfte nicht vergessen, Dufaux anzurufen, um ihm schöne Weihnachten zu wünschen. Diese Geldübergaben waren Routineangelegenheiten: konkretes Geld, das sich in virtuelles Geld verwandelt. Der wahre Kampf hatte vorher stattgefunden. Um sich seine großen Fische zu ergattern, hatte Koller mit Klauen und Zähnen kämpfen müssen. Er rührte den Tee um und wählte Claudio Melatos Nummer.
»Hallo, Signor Melato?« Koller sprach Italienisch.
»Ja, wer ist am Apparat?«
»Koller, von der Junker-Bank. Ich wollte nur Bescheid geben, dass alles in Ordnung ist.«
»Ah, Signor Koller. Ich danke Ihnen.«
»Ich habe gerade mit der Filiale in Bellinzona gesprochen. Sie werden Sonntag früh um sieben erwartet. Es dauert zehn Minuten. Sind Sie soweit?«
»Noch nicht ganz, ich werde mich heute um die letzten Details kümmern. Aber morgen bin ich dann mit allem, was nötig ist, in Lugano.«
»Gut. Grüßen Sie Signor Dufaux von mir.«
»Gerne doch.«
Nachdem er sich von Melato verabschiedet hatte, biss Koller endlich in seinen Kringel. Es war ein harter Kampf gewesen. Koller hatte immer lächeln müssen, hatte Hände geschüttelt, potentielle Kunden auf Golfplätze begleitet und über Geld geredet, ohne über Geld zu reden. Nun brauchte er nur noch die Früchte zu ernten. Kurz vor Weihnachten konnte Koller endlich den verdienten Erfolg genießen.
Vor Luca Forsters Haus in Tesserete waren zwei Gemeindearbeiter damit beschäftigt, die letzten Weihnachtsdekorationen anzubringen. Forster schaute aus dem Fenster zu ihnen hinüber, ohne sie wahrzunehmen. In diesem Jahr würde er nicht einmal um Weihnachten zur Ruhe kommen.
Er war bereit, alles aufs Spiel zu setzen.
In den letzten Monaten war er vom Regen in die Traufe gekommen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, den Schritt zu wagen. Er hatte versucht, von der Hehlerei und Wucherei zu komplexeren und vor allem saubereren Geschäften überzugehen. Eine schöne Geschichte. Die sauberen Geschäfte hatten ihn an den Rand des Abgrunds getrieben. Aber noch war es nicht zu spät für Forster. Er musste nur warten, bis Salviati mit zehn Millionen Franken aus der Junker-Bank kam.
Derweil sah Forster aus dem Fenster und wartete auf die Halsabschneider, die wie die Geier lauerten. Die Straße lag still in der Kälte. Forster betrachtete den Reif auf den Wagenfenstern, das vergilbte Laub auf dem Gehweg. Das einzige Zeichen von Leben waren die beiden mit der Weihnachtsdekoration beschäftigten Arbeiter. Bis schließlich – wie ein Schauspieler, der einen Augenblick zu spät die Bühne betritt – das Auto
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