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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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Malmesbury. Der Lichtschein der Fackel fiel auf ein Häufchen Krümel, gelbe Kuchenkrümel. Es musste eines der Seelenbrote sein, die die Westerly-Kinder von der Köchin bekommen hatten. Auf diesem Weg also waren sie heimlich im Kloster umhergewandert.
    Ich gelangte zu einer schmalen Treppe und stieg sie hinunter. DerGang unten war etwas breiter. Vorsichtig suchend tappte ich weiter, bis ich plötzlich eine Frauenstimme hörte. Vielleicht würde ich die Priorin finden   – und Bruder Richard. Offensichtlich hatten sie diesen Zugang ebenfalls entdeckt, ich konnte nur nicht verstehen, warum sie so lange hier unten geblieben waren. Wussten sie nicht, dass Gregory und die anderen Alarm schlagen würden?
    Der schmutzige Tunnel mündete in einen breiteren, aus Backstein gemauerten Gang. Die Frauenstimme war etwas deutlicher zu vernehmen. Sonst hörte ich nichts. Mit wem sprach die Frau? Die Stimme verklang. Ich ging weiter voran.
    Als ich am Ende des Ganges um die Ecke bog, sah ich drei Dinge zugleich: Auf dem Boden lag reglos ein Mann in einem blutdurchtränkten Mönchsgewand. An der Wand, auf einem kleinen Fass, saß eine mit Stricken gebundene Frau mit einem Knebel im Mund. Und neben ihr stand meine Mitnovizin, Schwester Christina, halb abgewandt von mir, mit einem langen Messer in der rechten Hand.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis Schwester Christina mich bemerkte. Ich war keiner Bewegung fähig. Ich konnte nicht sprechen. Ich war wie betäubt bei diesem Anblick.
    Der Mann, erkannte ich, war Bruder Richard. Seine Augen standen weit offen. Er war unverkennbar tot.
    Die Priorin bemerkte mich. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Diese kleine Bewegung veranlasste Schwester Christina, sich umzuwenden.
    »Schwester Joanna«, sagte sie heiser. Und dann lauter, mit gewohnter Kraft: »Schwester Joanna.«
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich. »Ich verstehe das nicht.«
    »Ich musste es tun«, erklärte sie sehr ernst. »Ihr müsst das begreifen, ich musste es tun. Die Priorin entdeckte die Tür im Lokutorium; sie kam hier herunter, sie suchte die Krone. Ich habe sie überrascht. Mit dem hier.« Sie schwenkte das Messer. »Und dann habe ich sie gefesselt.«
    »Ist die Krone hier   – jetzt?« Ich blickte suchend zu Boden.
    Schwester Christina lachte, und dieses Lachen riss mich in die Wirklichkeit zurück. Bis zu diesem Moment hatte ich vor Entsetzen völlig empfindungslos dagestanden. Meine Augen hatten gesehen,dass Bruder Richard tot und die Priorin gefesselt und geknebelt war   – und Schwester Christina frei und mit einem Messer bewaffnet. Aber ich hatte nicht wissen wollen, was das bedeutete.
    Doch durch ihr Lachen, bitter und zornig, begriff ich endlich, dass Schwester Christina eine Mörderin war. Und dass sie höchstwahrscheinlich in den nächsten Minuten versuchen würde, auch mich zu töten.
    »Die Krone! Die Krone! Die Krone!«, schrie sie höhnisch. »Ist das alles, was Euch interessiert, selbst jetzt noch? Bei ihr war es so«   – sie wies mit dem Messer auf die Priorin   – »und bei Bruder Richard auch. Er hat die Priorin gesucht, aber er wollte auch die Krone finden. Stattdessen hat er mich gefunden.«
    »Ihr haltet die Priorin seit zwei Tagen hier fest?«, fragte ich so sachlich wie möglich, um sie zu beruhigen.
    »Ja, und ich bedauere es nicht«, versetzte sie. »Ohne sie wäre das alles nicht geschehen, Schwester Joanna. Sie hat meinen Vater ins Kloster eingeladen. Sie hat unser Kapitelhaus mit seiner Anwesenheit beschmutzt.«
    »Aber   …«
    »Ich habe ihn getötet«, verkündete sie trotzig. »Gott wird mich dafür nicht strafen. Er war ein Schänder   – ein Dämon. Er war kein Mensch. Wusstet Ihr das?«
    Ich wagte nicht, sie auf ihre Mutter anzusprechen. Doch ein Zittern der Qual glitt über ihre Züge. »Ich bin in jener Nacht zu meiner Mutter gegangen, durch diese unterirdischen Stollen. Ich weiß von ihnen seit dem Tag, an dem die Priorin Elizabeth gestorben ist. Aber die Westerly-Kinder hatten sie auch entdeckt, und ich wusste, wenn Ihr die Kinder finden und mit ihnen sprechen würdet, würde alles aufgedeckt werden. Es würde herauskommen, wie man von der Klausur ins Vorderhaus gelangen kann, und es würde herauskommen, dass ich ihn getötet hatte. Aber das musste ich meiner Mutter selbst sagen. Ich wollte es ihr erklären.« Schwester Christina begann zu weinen. »Sie geriet außer sich, als ich ihr sagte, warum ich es getan habe. Sie sagte, es sei ihre Schuld, sie habe mich

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