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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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überraschend hoch.
    »Sire, sie ist bei der Beichte«, antwortete Lady Maude Parr, die Ehrendame der Königin, eine hochgewachsene und würdevolle Frau.
    Er antwortete mit einem Laut der Ungeduld, der mich erschreckte. Ich sah noch immer nicht auf.
    Ich weiß nicht mehr, wer von den Männern die Bemerkung machte   – Boleyn war es nicht   –, aber einer der Höflinge fragte: »Die Königin hat eine neue Hofdame?« Mit seiner Frage lenkte er aller Aufmerksamkeit auf mich, hob mich unter den zwei Dutzend anderen Frauen heraus und veränderte damit mein Leben.
    Ich spürte, wie alle mich ansahen. Mit hämmerndem Herzen hob ich den Kopf.
    Heinrich VIII. war der größte Mann, der mir je begegnet war, größer als mein Vater und seine Brüder. Er hatte rotes Haar, das sich an den Schläfen zu lichten begann, kleine blaue Augen und einen tadellos gepflegten Bart, der mehr golden schimmerte als rot. Er sah jünger aus als er war, nicht wie sechsunddreißig. An diesem Tag war er in Purpurrot gekleidet und trug riesige Ringe und zwei Medaillen. Ich wusste, dass nur Könige Purpur tragen durften, aber ich hatte nicht erwartet, dass er sich an einem gewöhnlichen Tag darin zeigen würde. Später sollte sich erweisen, dass dies kein gewöhnlicher Tag war und er die königliche Farbe aus gutem Grund angelegt hatte. Aber das wusste in diesem Moment noch niemand.
    »Hoheit«, murmelte ich und knickste noch einmal.
    »Das ist Miss Joanna Stafford«, stellte mich Lady Parr eine Spur nervös vor.
    Er musterte mich von Kopf bis Fuß.
    In diesem Moment hasste ich mein Kleid. Es war ein kostbares Stück aus burgunderfarbenem Brokat, sorgfältig ausgewählt, um meinem Teint und der Farbe meiner Haare zu schmeicheln. Es hatte einen tiefen, viereckigen Ausschnitt spanischen Stils, der den Ansatz meines Busens zeigte. Niemals hatte ich zu Hause so etwas getragen und war daher nicht daran gewöhnt. Ich fühlte mich entblößt vor diesen Männern, die weit älter waren als ich.
    Im Blick des Königs lag nichts Lüsternes. Das ist die Wahrheit. Ich war vor seiner Lüsternheit gewarnt worden, nicht nur von meiner Mutter, sondern von jedem Erwachsenen auf Stafford Castle. Mit einer Hofdame der Königin hatte er einen Bastard gezeugt und reihenweise andere Frauen verführt, unter ihnen eine meiner Stafford-Tanten, Elizabeth Fitzwalter.
    Ich glaube, es gibt zwei Arten von Frauen, solche, die es übelnehmen, wenn ein Mann sie nicht lüstern betrachtet, und solche, die froh sind, wenn er es nicht tut. Ich gehörte in die zweite Gruppe.
    Der König nickte mir nur zu und wies dann auf einen jungen Mann in seinem Gefolge. Er sagte etwas zu ihm, dann drehte er sich um und ging.
    Der junge Mann trat zu Lady Parr: »Ich soll sie zu meiner Schwester bringen.«
    Lady Parr war nicht begeistert. »Ihr sollt jetzt noch eine Dame aus dem Kreis der königlichen Hofdamen kennenlernen«, sagte sie widerwillig zu mir. »Dieser Herr wird Euch begleiten, Sir George Boleyn.«
    Der Mann verneigte sich mit übertriebener, spöttisch wirkender Geste. Ich verstand nicht, was vorging. Wenn die Dame im Dienst der Königin stand, warum war sie nicht hier? Aber ich musste ihm folgen, ob ich wollte oder nicht.
    Boleyn war zwischen fünfundzwanzig und dreißig, mittelgroß, sehr dunkel mit beinahe übergroßen dunklen Augen. Er trug ein modisches Wams, das seinen schlanken Körper eng umschloss. Erlegte offenbar sehr viel Wert auf modisches Aussehen. Nachdem er meine Kleidung kritisiert hatte, wies er mich auf dem Weg durch eine lange Galerie in belehrendem Ton auf die eleganten Garderoben anderer Damen hin. Ich sprach fast kein Wort; ich hatte eine heftige Abneigung gegen ihn gefasst.
    Er führte mich in einen großen, spärlich ausgestatteten Raum, der von Licht durchflutet war. Die Gemächer der Königin waren dunkel gewesen, beinahe muffig. Dieser Raum war luftig und hell, mit schmückenden Details, wie ich sie noch nie gesehen hatte: farbige Bänder, die an den Fensterrahmen gespannt waren; ein bunt besticktes Kissen auf einem Sessel.
    Am Fenster stand eine junge Frau, die große Ähnlichkeit mit George Boleyn hatte. Ihre Augen und ihr Haar waren ebenso dunkel, und sie schien im gleichen Alter zu sein wie er. Ich hielt es für möglich, dass sie Zwillinge waren.
    »Wer ist das?«, fragte sie, ohne zu lächeln, mit leichtem französischen Akzent.
    »Die neue Hofdame, die kleine Stafford«, antwortete er. »Du erinnerst dich? Die Königin hat auf ihr bestanden.«
    Ich

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