Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
dem ich während meiner Genesung gelegen hatte. Mir blutete das Herz, als ich sein von Brandnarben entstelltes Gesicht sah.
Schwester Rachel hatte ihm gerade etwas zu essen gebracht.
»Vater«, sagte ich.
»Joanna, ach, Joanna.« Seine Stimme war schwach. Aber er lebte.
Schwester Rachel trat zurück, damit ich ihn umarmen konnte. Sein Gesicht war kalt, und er war, ich konnte es durch seine Kleider fühlen, stark abgemagert. Er weinte, während ich ihn umschlungen hielt und Gott dafür dankte, dass er ihn mir zurückgebracht hatte. »Mein kleines Mädchen«, flüsterte er und streichelte mir das Haar wie früher. »Mein kleines Mädchen.«
Hinter mir fiel irgendetwas scheppernd zu Boden.
Ich drehte mich um. Dort stand ein kleiner Junge, keine vier Jahre alt, mit glänzendem rotblonden Haar und einem breiten Lächeln. Er hatte eine silberne Pfanne fallen lassen, die er vom Tisch hatte nehmen wollen.
»Arthur, nein«, sagte mein Vater. »Lass das.«
»Wer ist der Junge?«, fragte ich.
Mein Vater umfasste fest meinen Arm. »Das ist Arthur Bulmer. Margarets Sohn.«
Kapitel 49
Wenige Minuten später waren wir allein. Mein Vater hatte darum gebeten, und sein Ton war so bestimmt gewesen, dass alle sich gefügt hatten. Schwester Winifred sagte, sie würde Arthur in die Küche mitnehmen und die Köchin fragen, ob sie ihm etwas Gutes kochenkönne. Auch Bruder Edmund zog sich zurück, aber nicht bevor er einen Kräuterumschlag für meinen Vater vorbereitet hatte. Geoffrey stand mit verschränkten Armen an der Tür und beobachtete alles.
»Ich spreche später mit Euch, Mister Scovill?«, fragte mein Vater. Selbst jetzt, in seinem geschwächten Zustand, sprach er im gewohnt gebieterischen Ton eines Stafford.
»Natürlich, Sir Richard«, antwortete Geoffrey respektvoll. Er nickte mir zu und ging mit Bruder Edmund davon.
»Bitte trink«, sagte ich und reichte ihm eine dampfende Tasse.
»Gleich, Joanna.«
»Nein«, beharrte ich. »Jetzt.« Ich lächelte ihn an. »Du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass ich dir vorschreibe, was du zu essen und zu trinken hast.«
Er sah mich fragend an.
»Kloster Dartford wird im Frühjahr geschlossen«, sagte ich. »Bis dahin möchte ich hierbleiben. Dann komme ich zu dir. Wo immer wir deiner Meinung nach leben sollten.«
Er schlürfte das heiße Getränk. Meine Neuigkeiten freuten ihn nicht so sehr, wie ich erwartet hatte. Vielleicht kam es daher, dass er so schwach und müde war.
»Ich muss mit dir reden, Joanna. Bitte hör genau zu. Dieses Gespräch wird nicht leicht werden. Ich glaube, es wird das schwierigste meines Lebens.«
Mit klopfendem Herzen holte ich mir einen Hocker und setzte mich zu ihm. Er blieb auf der Kante des Hospitalbetts sitzen, die Hände auf den Knien.
»Es geht um Arthur«, begann er.
Ich nickte. Dann begriff ich. »Du möchtest, dass wir ihn zu uns nehmen? Aber ja, Vater, natürlich. Ich will gern helfen, Margarets Sohn großzuziehen. Es wundert mich nur, dass die Familie ihres Mannes dir das Kind überlassen hat.«
Er schloss die Augen. Zeit verging. Von draußen hörte ich Stimmengemurmel. Eine der Stimmen war die Geoffreys. Er blieb in der Nähe und hielt sich bereit, wie mein Vater ihn gebeten hatte.
Mein Vater öffnete endlich die Augen.
»Joanna, er ist mein Sohn.«
Ich war verwirrt. »Aber nein, er ist doch Margarets Kind. Das hast du eben selbst gesagt.«
Die Hände meines Vaters zitterten. »Er ist unser Sohn, meiner und Margarets.«
»Unmöglich«, sagte ich.
Er schloss wieder die Augen.
»Du bist krank, Vater, sonst würdest du nicht so etwas Entsetzliches sagen. Ich rufe Bruder Edmund. Er kann dir etwas geben.«
»Nein.« Er hielt mich am Handgelenk fest. »Es hat keinen Sinn, jemanden zu rufen. Du musst mich anhören, Tochter. Du hast keine Wahl.«
Ich gab nach. Ich hatte ihm mein Leben lang immer gehorcht, aber jetzt rebellierte alles in mir.
»Im Jahr 1533 bin ich im Sommer nach London gereist, um mich um das Familiengrundstück zu kümmern. Weißt du noch?« Als ich weder nickte noch etwas sagte, fuhr er fort: »Da bin ich Margaret begegnet. Auf der Straße. Sie war in der Nacht zuvor vor ihrem Mann geflohen und war die ganze Nacht herumgeirrt, weil sie nicht wusste, wohin.«
Mein Vater machte eine Pause. »Ich weiß nicht, was dir über ihren ersten Mann, William Cheyne, bekannt ist. Er war ein übler Mensch, schwach und lasterhaft. Norfolk hätte diese Ehe niemals einfädeln dürfen. Cheyne erkrankte nicht lange nach
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