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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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gelang, einen geheimen Brief zu entschlüsseln, den sie einem intriganten Kardinal entwendet hatte, wollte sie gerade den Giftbecher trinken, als sie in letzter Minute von ihrem aus dem Gefängnis entflohenen Ehemann gerettet wurde. Mein ganzes Wissenüber Spitzeltum und Heimlichkeit erschöpfte sich in dem, was ich aus dieser albernen Geschichte mitgenommen hatte. Es gab Spitzel und Spione, das wusste ich. Der Lordsiegelbewahrer und Generalvikar Thomas Cromwell war berüchtigt für sein weitreichendes Netz von geheimen Kundschaftern. Es hieß, er plündere die Klöster auch deshalb aus, weil er Geld brauchte, um seine Leute an sich zu binden. Vom jüngsten Pagen bis zum ausländischen Botschafter reichte die Liste derer, die heimlich in seinen Diensten standen. So wie ich heimlich Bischof Gardiner diente. Ich senkte den Kopf.
Aber nicht für Geld
, sagte ich mir grimmig.
Allein für das Leben meines Vaters.
    Der Wagen fuhr langsamer. Vor uns lag das Zentrum des Städtchens: Gasthäuser, die Gemeindekirche mit ihrem hohen Turm, ein geschäftiger Markt, Dutzende von Läden und Werkstätten   – Bäcker, Gerber, Metzger, Schneider   – und ein paar kleine Bootswerften. Die schmale Straße, die ich so gut kannte, öffnete sich zwischen zwei hohen Ulmen.
    Gerade als der Kutscher die Zügel zog, um abzubiegen, hörte ich Glockengeläut. Sehr schwach. Ich achtete nicht weiter darauf. Aber die Glocken läuteten unaufhörlich weiter. Unser Wagen rollte die Straße zum Kloster hinauf, und immer noch läuteten die Glocken. Auch Bruder Richard fiel es auf, und er hob eine Hand. Wir hielten an und lauschten. Nach einer Minute begannen weitere Glocken zu läuten, und lauter jetzt, immer neue Glocken stimmten in das Geläut ein. Es war, als wäre der erste Befehl zum Läuten in weiter Ferne gegeben und dann von anderen Kirchen, die Dartford näher waren, aufgenommen worden.
    »Das heißt, dass es ein Sohn ist«, rief Bruder Richard.
    Wir bekreuzigten uns alle, selbst der Kutscher.
    »Es ist ein Zeichen Gottes, dass er dieser Ehe seinen Segen gibt, meint Ihr nicht?«, frohlockte Bruder Richard. »Jetzt kann die Königin uns helfen.«
    Er gab seinem Pferd die Sporen, um nach Dartford vorauszugaloppieren. Ich sah Bruder Edmund fragend an. Er warf einen kurzen Blick auf den Kutscher, bevor er leise sagte: »Die Königin ist dem alten Glauben treu. Sie unterstützt die Klöster. Aber als sie Ende des vergangenen Jahres ihre Stimme erhob und darum bat, uns zuverschonen, verbot der König ihr den Mund. Mit einem Prinzen im Arm könnte sie zur geachteten Beraterin werden.«
    Ich nickte, obwohl mir das unwahrscheinlich schien. Würde dieser König je auf eine Frau hören, gleich, aus welchem Grund? Ich sprach ein stilles Gebet für Katharinas Tochter, Prinzessin Maria. Sie war fünf Jahre jünger als ich, mutterlos, von ihrem Vater nicht anerkannt und nun von einem Prinzen verdrängt. Der König mochte Maria   – oder auch Anne Boleyns Tochter Elisabeth   – nicht als geeignete Erbin betrachten. Doch in Spanien gab es die weibliche Erbfolge, dort konnten Frauen den Thron besteigen. Die Mutter Katharinas von Aragón, Königin Isabella, war nur ein Beispiel. Auf dieser Insel hingegen hatte eine Frau kaum Rechte.
    Unser Wagen setzte sich wieder in Bewegung. Die Sonne war gerade untergegangen, und die Felder zu unserer Linken waren in lavendelblaues Licht getaucht. Ich reckte den Hals, begierig auf den ersten Blick auf das Kloster, doch noch versperrte eine Baumgruppe mir die Sicht.
    Bruder Richard, weit voraus, erblickte Kloster Dartford zuerst. Ich sah, wie er im Sattel erstarrte. Ja, selbst er war beeindruckt.
    Der Wagen passierte die Baumgruppe, und über die Mauer hinweg, die es umfriedete, sah ich vor mir endlich mein Zuhause.
    Das Erste, was mir erneut ins Auge fiel, war die schiere Größe des Klosters mit seinen hohen, kantigen Mauern, die jedoch nichts Achtunggebietendes oder Abschreckendes hatten. Sie leuchteten im cremigen hellen Grau des Hartkalksteins aus den Steinbrüchen Kents. Stets ergriff mich die wohltuende Ausgewogenheit seiner Architektur, seine heitere Eleganz. Die Mauer krönten vier große, aus Stein gehauene Ordenswappen der Dominikaner. Es war nicht mehr hell genug, um die Bilder zu erkennen, aber ich trug sie im Herzen. Auf dem Hintergrund von acht schwarzen und weißen Schilden, die Freude und Buße repräsentierten, stand das Lilienkreuz, das Symbol unseres Glaubens.
    Hinter der vorderen Mauer, aus der

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