Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Bruder Richard schon in stolzer Haltung auf einem der edelsten Pferde gesessen, die ich je gesehen hatte: ein Apfelschimmel mit glänzendem Fell und lebhaften Augen. Bruder Richard ließ keinen Zweifel daran, dass er die Stute, die sein eigen war, nicht vor unseren von weit gewöhnlicheren Gäulen gezogenen Wagen spannen würde. Er würde hoch zu Ross nach Dartford ziehen, Bruder Edmund und ich würden im Wagen folgen, mit einem wohlgenährten Tower-Bediensteten auf dem Kutschbock.
Der Junge sagte beschwörend: »Wir haben die besten Äpfel in Kent, ehrwürdiger Bruder – ich gebe Euch einen Korb für drei Farthing.«
»Pack dich!«, fuhr Bruder Richard ihn an.
Mit hängenden Schultern trottete der magere Junge zu seinem Platz unter dem Baum zurück. Bruder Richards Zurückweisung schien mir unnötig schroff. Verstohlen sah ich Bruder Edmund an, der seit der Abfahrt aus London kein Wort gesprochen hatte.
Er nickte, als hätte er erraten, was ich dachte. »Bruder Richard trägt sehr schwer an der Zerschlagung unserer Gemeinschaft«, bemerkte er leise.
»Aber er weiß wenigstens, wohin«, erwiderte ich.
»Ja, wir sind Bischof Gardiner beide dankbar, dass er uns diesen neuen Wirkungsort im Kloster Dartford vermittelt hat.« Er hielt inne, um sich seine nächsten Worte zu überlegen. »Aber Ihr müsst wissen, dass Bruder Richard damit rechnete, Prior in Cambridge zu werden. Er trat schon als Kind in die Gemeinschaft ein, legte das Ordensgelübde ab, sobald er mündig wurde, und diente der Gemeinschaft mit höchster Hingabe. Er ist ein echter Theologe; die Werke, die er geschrieben hat, werden auch auf dem Kontinent gelesen.«
Ich betrachtete Bruder Richard nachdenklich. Eine scharfe Zunge war meiner Erfahrung nach nicht immer auch Zeichen eines scharfen Verstands.
Und dann war da noch die Reisetruhe.
Hinten in unserem Wagen lagen zwei Gepäckstücke: Das eine war klein und abgenutzt und enthielt Bruder Edmunds Utensilien für die Heilkunde. Das andere war ein burgunderrotes Ungetüm mit vergoldeten Schlössern und Beschlägen. Es gehörte Bruder Richard, aber ich konnte mir nicht vorstellen, was darin untergebracht war. Die Regeln der Dominikaner schrieben Keuschheit, Demut, Gehorsam und
Armut
vor. Vielleicht hatten in Cambridge andere Regeln gegolten.
»Und für Euch, Bruder Edmund, ist es für Euch nicht auch schwierig?«, fragte ich.
»Ich bin Ordensbruder, ich diene Gott, wohin auch immer mein Weg mich führt«, antwortete er. »Und es bedeutet, dass ich wieder mit meiner jüngeren Schwester Winifred unter einem Dach leben werde.«
Deshalb war er mir so bekannt vorgekommen. Er hatte blondes Haar und braune Augen – wie meine Mitnovizin und Freundin, Schwester Winifred. »Sie wird sich sehr freuen, Euch zu sehen«, sagte ich. »Sie hat mir einmal erzählt, dass sie einen Bruder hat, der Mönch ist, und sagte, dass sie ihn sehr vermisst.«
»Ich habe sie auch vermisst«, sagte er. »Ich hoffte allerdings, dass sie eines Tages stolz auf mich und meine Arbeit im Namen Gottes sein würde; und nicht, dass ich als Bittsteller in ihrem Kloster angekrochen käme.«
Die Worte klangen bitter, doch sein Gesicht war ruhig, ja, der Blick der großen dunklen Augen war durchaus heiter. Seine Selbstbeherrschung war beeindruckend – wenn auch etwas befremdlich.
»Aber da wir nun einmal in ein Nonnenkloster gesandt werden mussten«, fuhr er fort, »ist Dartford wenigstens eins von hohem Ansehen. Bruder Richards administrative Fähigkeiten werden bei der Verwaltung seines Wohlstands von großem Nutzen sein.«
»Wohlstand?«
»Dartford gehört zu den sieben reichsten Klöstern in England – wusstet Ihr das nicht?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Bruder Richard hat mir erklärt, dass das der ursprünglichen Gründungsurkunde zu danken ist, wie sie von Eduard III. genehmigt wurde. Das Kloster ist von allen Steuern und Abgaben befreit und erhält eine jährliche Zuwendung von einhundert Pfund. Es besitzt ansehnliche Ländereien in Kent und bezieht Einkommen aus Landwirtschaft und Gewerbe, dazu gehören Pachthöfe, Mühlen, Geschäftsbetriebe, sogar Steinbrüche. Außerdem besitzt das Kloster Grund und Boden in London. Bruder Richard sagte mir, er habe nie zuvor gehört, dass ein König so gründlich Sorge für die finanzielle Sicherheit einer religiösen Einrichtung getragen habe.«
»Welch ein Glück für uns«, murmelte ich.
Als unser Wagen um eine Straßenbiegung rumpelte, kam der Darent in Sicht und
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