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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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Mitte des Gevierts, ragte die kreuzförmige Klosterkirche empor. Die letzten Lichtstrahlen funkelten auf dem farbigen Glas der Fenster. Hinter ihr lagen niedrigere Gebäude: die Wohnräume der Ordensbrüder, die Stallungen unddie Brauerei. Alle in vollendeter Harmonie erbaut und angeordnet. Für mich würde das Kloster immer der schönste Ort auf der Welt bleiben.
    »Schwester Joanna?«
    »Ja?« Ich wischte mir hastig die Tränen von den Wangen.
    Bruder Richard wies auf einen fernen Hügel zu unserer Linken. »Beginnt dort der Besitz von Lord Chester?«, fragte er. »Ich kenne seinen jüngeren Bruder, den Bischof von Dover.«
    Ich nickte nur, noch immer nicht fähig, mich zu fassen. Bruder Edmund musterte mich mit dem nun schon gewohnten Ausdruck kühler Ruhe. Irritiert wandte ich mich von den beiden Männern ab.
    Das große Pförtnerhaus vor dem Kloster war dunkel und leer. Der Kutscher blickte unsicher zu uns nach hinten.
    »Es müsste doch jemand da sein, um uns zu empfangen«, sagte Bruder Richard.
    »Es gibt einen Pförtner«, bemerkte ich, froh, wieder normal sprechen zu können. »Manchmal ist er im Pförtnerhaus, aber nach Einbruch der Dunkelheit ist er oft drinnen im Vorderhaus.«
    »Und er hat es nicht einmal für nötig gehalten, Fackeln für uns anzuzünden?«, fragte Bruder Richard mich so vorwurfsvoll, als wäre es meine Schuld.
    »Es dürfte nicht schwer sein, ihn wissen zu lassen, dass wir angekommen sind«, meinte Bruder Edmund und half mir aus dem Wagen. Bruder Richard saß mit einem hörbaren Seufzer ab und reichte dem Kutscher die Zügel seines Pferdes.
    Der Eingang zum Kloster wirkte auf die meisten Besucher überwältigend. Auch meine Begleiter schienen beeindruckt.
    Man betrat die Anlage durch ein hoch aufsteigendes, nach oben spitz zulaufendes Tor. Zu beiden Seiten blickten einem Standbilder des Gründers, König Eduards III., entgegen. Die Decke des Torgewölbes war mit einer in Stein gemeißelten Darstellung der Himmelfahrt Mariä geschmückt.
    Bruder Richard klopfte an die massige Holztür. Er wartete nicht einmal eine Minute, dann klopfte er noch einmal. Nichts rührte sich.
    »Ich kann dafür keine Entschuldigung finden«, sagte er.
    Schließlich wurde die Tür einen Spalt geöffnet, und zu meiner Erleichterungschlurfte Jacob, der alte Pförtner, heraus. Stirnrunzelnd musterte er die Brüder; als er mich erblickte, fuhr er beinahe erschrocken zurück. »Schwester Joanna, seid Ihr’s wirklich?«, fragte er mit zitternder Stimme.
    »Ja, Jacob, ich bin’s«, antwortete ich.
    »Hat die Priorin Euch nicht von unserem Kommen unterrichtet?«, fragte Bruder Richard scharf.
    Jacob schüttelte den Kopf.
    Bruder Edmund fragte freundlicher: »War nicht heute ein Bote aus London hier?«
    »Doch, Bruder, ein Bote war hier.«
    »Und was hat die Priorin gesagt, nachdem sie die Nachricht gelesen hatte?«
    Jacob sah Bruder Richard an und riss die Augen auf. Sein Mund klappte auf und zu. Ich hatte unseren Pförtner noch nie so erlebt   – so entgeistert.
    »Jacob, was ist?«, fragte ich.
    Aber er antwortete mir nicht.
    »Führt uns zu Eurer Priorin!«, befahl Bruder Richard.
    Jacob wich vor ihm zurück. »Nein, nein.«
    »Führt uns sofort zu Eurer Priorin!«, wiederholte der Bruder mit Donnerstimme.
    Mit zitternden Lippen drehte sich Jacob um und führte uns ins Kloster hinein.
    Die Elfenbeinstatue der Jungfrau Maria auf ihrem Thron schimmerte im Vorsaal. Ich erwartete, dass Jacob nun nach links abbiegen und uns ins Lokutorium führen würde, den Raum, in dem die Nonnen mit Besuchern private Gespräche führen konnten, um dann die Priorin zu holen. Die Männer waren zwar dominikanische Ordensbrüder, aber kein Mann durfte den religiösen Trakt betreten, wenn nicht vorher die Priorin die Erlaubnis dazu erteilt hatte.
    Doch zu meiner Bestürzung führte uns Jacob weg vom Lokutorium und den anderen öffentlichen Räumen, zu denen Außenstehenden der Zugang gestattet war   – das Empfangszimmer der Priorin, die Unterkünfte für Gäste   –, und begab sich auf den Weg zum Herzen des Klosters.
    An der Tür zur Klausur mit Kapitelsaal, Kirche, Refektorium, Küchenräumen und Dormitorium holte er seine Schlüssel heraus.
    »Jacob, was tut Ihr?«, fragte ich.
    Er sperrte die Tür auf, ohne mir zu antworten.
    »Bisher habe ich nichts als Verstöße erlebt   – zuerst gegen die Gastfreundschaft und nun gegen die strengste Regel von allen, die Klausur«, erboste sich Bruder Richard. »Der gute Bericht, den

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