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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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hatte.
    Die Zeit der angekündigten Ankunft von Lord und Lady Chester verstrich. Die Minuten krochen dahin.
    Gregory, der Pförtner, eilte herein und flüsterte der Priorin etwas zu. Sie schüttelte unmutig den Kopf und gab flüsternd etwas zurück. Der Pförtner lief wieder hinaus. Bruder Richard warf Bruder Edmund einen Blick zu und hob dann, mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln um den Mund, seinen Weinbecher und trank lange.
    Es war möglich, dass Lord Chester gar nicht erscheinen würde, obwohl das Festmahl nur für ihn ausgerichtet worden war. Manche Adelige lebten nach Lust und Laune. Sie dachten sich überhaupt nichts dabei, die Pläne jener umzuwerfen, die sie als unbedeutend betrachteten. All die Vorbereitungen und Ausgaben? Kaum ein Schulterzucken wert. Ich glaubte dennoch, dass Lord und Lady Chester kommen würden, nicht wegen der Priorin oder der Nonnen, sondern ihrer Tochter wegen. Sie war ihr einziges lebendes Kind. Familienbande hielten selbst in Zeiten von Angst, Gier und Auflösung.
    Niemand sprach; alle warteten, mit ihren eigenen unerfreulichen Gedanken beschäftigt. Ich fand es entsetzlich, hier zu sitzen und der ungewissen Ankunft eines verwöhnten Adeligen zu harren, während von den Westerly-Kindern noch immer jede Spur fehlte. Zudem verschwendete ich hier wertvolle Zeit, die ich für die Suche nach der Athelstan-Krone hätte nutzen können. Wie sehr hatte die Gesundheitmeines Vaters gelitten, seit ich den Tower verlassen hatte? Ich konnte kaum still sitzen vor innerer Unruhe.
    Von meinem Platz aus konnte ich unsere Priorin gut beobachten. Sie rührte ihren Becher nicht an, nahm sich nichts von den Platten mit Rettich und Salz, die vor ihr standen. Ihr Gesicht war starr, ihr Blick wachsam. Sie glaubte, dieses Festmahl werde dem Kloster dienlich sein, deshalb hatte sie es trotz der allgemeinen Missbilligung veranlasst. Ich bewunderte Frauen mit starkem Charakter, und ich konnte nicht umhin, die Priorin zu bewundern. Sie sah plötzlich zu mir herüber, als hätte sie meine Gedanken gespürt, und sogleich überfiel mich der gewohnte ernüchternde Verdacht. Meine Wertschätzung wurde von der Priorin nicht erwidert.
    Ihrer Abneigung müde, blickte ich zur Decke des Kapitelsaals hinauf und betrachtete die steingemeißelten Ornamente der Kapitelle der vier massigen Säulen. Sie erinnerten an Lilien, das Symbol der Dominikaner, das die Reinheit und Hingabe der Ordensangehörigen verkörperte. König Eduard III. musste die besten Bildhauer seines Königreichs mit der Erschaffung dieser steinernen Lilien beauftragt haben. Sie prangten überall im Kloster: über dem Eingangstor; auf den Wappen, die die vordere Mauer krönten; in den Arkaden des Kreuzgangs und hier, im Kapitelhaus. Wegen der Höhe der Säulen und der nachmittäglichen Schatten war es nicht leicht, die Einzelheiten der floralen Ornamente zu erkennen, aber es sah so aus, als spähte über den Lilien noch etwas anderes hervor: geschwungene Linien, die sich bogenförmig zu einer Spitze vereinigten. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, die Richtung der Linien auszumachen, als ich mit einem Schlag begriff.
    Hinter den Lilien verbarg sich die in Stein gehauene Form einer Krone.
    Die Lilien und die Krone waren miteinander verflochten. Warum hatte Eduard III. das so befohlen? Der Aufbewahrungsort der Krone war ein gefürchtetes Geheimnis, und doch kündeten alle Mauern von ihrem Vorhandensein. Dahinter musste eine Absicht stecken. Bedeuteten die Lilien Schutz? Wurde der Dominikanerorden, der als der wachsamste aller Orden galt, mächtig genug erachtet, die Krone vor Missbrauch zu bewahren?
    Nein, etwas an diesen Überlegungen stimmte nicht. Was hatte Bischof Gardiner gesagt?
»Und es gibt eine Prophezeiung. Die Verheißung eines sagenhaften Preises, der jedoch nicht ohne großes Wagnis zu erlangen ist. Die Krone ist ein Segen und ein Fluch.«
    Plötzlich begriff ich. Die Krone war äußerst gefährlich. Sie musste nicht vor den Menschen geschützt werden. Die Menschen mussten vor ihr geschützt werden.
    Zu den Schätzen, die bei Limoges entdeckt worden waren, gehörten Gegenstände von ›königlicher Kostbarkeit‹. Was war königlicher als eine Krone? Richard Löwenherz war es, der als Erster auf die Athelstan-Krone gestoßen war, die in der Erde gelegen hatte, bis ein Bauer sie ausgrub. Er hatte die Wahrheit gesprochen. Der Schatz war in der Tat englischen Ursprungs, auf unbekannten Wegen nach Frankreich gelangt. Auf dem Sterbebett

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