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Die letzte Odyssee

Die letzte Odyssee

Titel: Die letzte Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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»Mein Gott!« Dann riß er sich zusammen und wagte sich abermals nach vorne.
    Er stand in einem runden Turm. Unter ihm lag das ferne Mittelmeer. Die sanfte Wölbung der Außenwand ließ auf einen Durchmesser von mehreren Kilometern schließen. Aber der stand in keinem Verhältnis zur Höhe des Bauwerks, das weiter und weiter in die Tiefe ragte – bis es irgendwo über Afrika im Nebel verschwand. Vermutlich setzte es sich bis zur Erdoberfläche fort.
    »Wie hoch sind wir?« flüsterte er.
    »Zweitausend Kilometer. Aber schauen sie jetzt nach oben.«
    Diesmal war der Schock nicht mehr ganz so groß: Er war auf den Anblick gefaßt. Der Turm wurde immer schmäler, bis er wie ein glitzernder Faden vor der Schwärze des Raumes hing. Poole zweifelte nicht daran, daß er bis zum geostationären Orbit sechsunddreißigtausend Kilometer über dem Äquator reichte. Derartige Phantasien hatte man schon zu seiner Zeit gesponnen; aber er hätte sich nie träumen lassen, sie einmal verwirklicht zu sehen – und auch noch darin zu leben.
    Er zeigte auf den fernen Faden, der weiter im Osten vom Horizont aus himmelwärts strebte.
    »Das muß noch einer sein.«
    »Ja – der Asienturm. Von dort aus sehen wir wahrscheinlich genauso aus.«
    »Wie viele solcher Türme gibt es?«
    »Nur vier, in gleichen Abständen über den Äquator verteilt. Afrika, Asien, Amerika, Pazifika. Der letzte ist noch fast leer – erst wenige hundert Stockwerke sind fertiggestellt. Man sieht nichts als Wasser …«
    Poole hatte sich von seiner Verblüffung noch nicht erholt, als ihm ein erschreckender Gedanke kam.
    »Schon zu meiner Zeit gab es Tausende von Satelliten in allen Höhen. Wie vermeidet man Zusammenstöße?«
    Er hatte Indra tatsächlich ein wenig in Verlegenheit gebracht.
    »Tja – darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht das fällt nicht in mein Fach.« Sie schwieg einen Augenblick, durchforstete ihr Gedächtnis. Dann hellte sich ihre Miene auf.
    »Wenn ich mich recht erinnere, hat man vor ein paar hundert Jahren eine große Aufräumaktion gestartet. Jetzt gibt es unterhalb des stationären Orbits keine Satelliten mehr.«
    Das klang einleuchtend, dachte Poole. Sie waren überflüssig geworden – die vier Riesentürme konnten alles leisten, wozu man früher Tausende von Satelliten und Raumstationen gebraucht hatte.
    »Und es hat niemals Unfälle gegeben – keine Kollisionen mit startenden oder zurückkehrenden Raumschiffen?«
    Indra sah ihn verwundert an.
    »Kein Raumschiff startet mehr von der Erde.« Sie wies nach oben. »Alle Raumhäfen liegen da, wo sie hingehören – oben, am äußeren Ring. Ich glaube, die letzte Rakete hat vor vierhundert Jahren von der Erde abgehoben.«
    Poole hatte diese Aussage noch nicht verdaut, als ihm eine kleine Unstimmigkeit auffiel. Als Astronaut war er sensibel für alles, was von der Norm abwich. Im Weltall hing von solchen Kleinigkeiten manchmal das Leben ab.
    Die Sonne stand hoch am Himmel und war nicht zu sehen, aber ihr Licht fiel durch das große Fenster und zeichnete ein strahlend helles Band auf den Fußboden. Schräg über dieses Band zog sich ein zweites, sehr viel matteres, so daß der Fensterrahmen einen zweifachen Schatten warf.
    Poole mußte sich hinknien, um zum Himmel aufsehen zu können. Er hatte fest geglaubt, ihn könne nichts mehr erschüttern, aber als er die zwei Sonnen erblickte, verschlug es ihm die Sprache.
    »Was ist das?« keuchte er, als er wieder zu Atem kam.
    »Ach – hat man Ihnen das noch nicht erklärt? Das ist Luzifer.«
    »Die Erde hat eine zweite Sonne?«
    »Viel Wärme spendet sie nicht, aber sie hat den Mond aus dem Geschäft gedrängt … Vor der Zweiten Mission, die den Auftrag hatte, nach Ihnen zu suchen, war das noch der Planet Jupiter.«
    Ich hatte mich darauf eingestellt, in dieser neuen Welt einiges lernen zu müssen, dachte Poole. Aber daß es derart viel sein würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.

5
Weiterbildung
    Für Poole war es eine freudige Überraschung, als man den Fernsehapparat in sein Zimmer rollte und ans Bettende stellte. Freudig deshalb, weil er unter einer leichten Form von Informationsmangel litt – und eine Überraschung, weil das Modell schon zu seiner Zeit veraltet gewesen war.
    »Wir mußten dem Museum versprechen, das Gerät auch ganz bestimmt zurückzugeben«, teilte ihm die Oberschwester mit. »Sie wissen ja sicher damit umzugehen.«
    Poole streichelte die Fernbedienung. Mit einem Mal überfiel ihn schmerzlich das Heimweh.

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