Die letzte Odyssee
plötzlich aufgehört, wie es angefangen hatte.
Dr. Wallace ging zur Tür, legte die flache Hand auf die Tafel und zog sie nach wenigen Sekunden wieder zurück. Dann sah sie Poole lächelnd an und sagte: »Kommen Sie, sehen Sie sich das an.«
Langsam las er die Schriftzeichen, die da so plötzlich aufgetaucht waren, und diesmal ergaben sie durchaus einen Sinn: WALLACE, INDRA [W2970.03.11/31.885//HIST.OXFORD]
»Das heißt vermutlich ›weiblich, geboren am 11. März 2970‹ – und daß sie der historischen Fakultät der Universität Oxford angehören. Und 31.885 ist Ihr persönlicher Identifikationscode. Richtig?«
»Ausgezeichnet, Mr. Poole. Ich habe einige von Ihren E-mail-Adressen und Kreditkartennummern gesehen – Ketten von alphanumerischem Schwachsinn, wer sollte sich das jemals merken? Aber jeder Mensch kennt sein Geburtsdatum, und es gibt niemals mehr als 99999 Personen, die am gleichen Tag geboren sind. Eine fünfstellige Zahl genügt also vollkommen … und selbst wenn Sie die vergessen, ist das nicht weiter schlimm. Sie ist schließlich ein Teil von Ihnen.«
»Implantat?«
»Ja – Nanochip bei der Geburt, zur Sicherheit in jeder Handfläche einer. Sie werden nichts spüren, wenn Sie den Ihren bekommen. Allerdings haben Sie uns vor ein kleines Problem gestellt …«
»Nämlich?«
»Die meisten Lesegeräte, mit denen Sie zu tun haben werden, sind so einfältig, daß sie Ihr Geburtsdatum nicht akzeptieren. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, haben wir Sie also um tausend Jahre jünger gemacht.«
»Meinetwegen. Und die restlichen Angaben?«
»Liegen ganz bei Ihnen. Sie können sie offenlassen, Sie können aber auch Ihre derzeitigen Interessen oder Ihren Wohnort eingeben – oder den Speicherplatz für persönliche Mitteilungen an die Allgemeinheit oder an bestimmte Personen verwenden.«
Poole war überzeugt davon, daß sich gewisse Dinge auch über die Jahrhunderte nicht verändert hatten. Ein großer Teil dieser ›Mitteilungen für bestimmte Personen‹ war sicher mehr als persönlich.
Ob es wohl auch heute noch Zensoren gab, die für den Staat arbeiteten oder weil sie sich dazu berufen fühlten? Und ob ihre Bemühungen um die Moral ihrer Mitmenschen von mehr Erfolg gekrönt waren als zu seiner Zeit?
Er mußte Dr. Wallace danach fragen, wenn er sie erst etwas besser kannte.
4
Zimmer mit Aussicht
»Frank – Professor Anderson meint, Sie seien kräftig genug für einen kleinen Spaziergang.«
»Freut mich zu hören. Kennen Sie den Ausdruck ›Gefängniskoller‹?«
»Nein, aber ich kann mir vorstellen, was damit gemeint ist.«
Poole hatte sich so sehr an die niedrige Schwerkraft gewöhnt, daß ihm seine langen Schritte ganz normal vorkamen. Ein halbes g, schätzte er – gerade genug, um sich wohlzufühlen. Sie begegneten nur wenigen Menschen, lauter Fremden, aber jeder schien ihn zu kennen und lächelte ihm zu. Inzwischen, überlegte Poole nicht ohne Selbstgefälligkeit, dürfte ich einer der berühmtesten Menschen auf dieser Welt sein. Vielleicht hilft mir das – bei der Entscheidung, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen soll. Wenn Anderson recht hat, sind das noch mindestens hundert Jahre …
Der Korridor, durch den sie gingen, war in keiner Weise bemerkenswert. Nur hin und wieder kamen sie an einer numerierten Tür mit der unvermeidlichen Erkennungstafel vorbei. Nachdem Poole vielleicht zweihundert Meter hinter Indra hergelaufen war, blieb er plötzlich stehen. Die Erkenntnis war wie ein Schock. Wie hatte er nur so blind sein können?
»Die Raumstation muß ja riesig sein!« rief er.
Indra lächelte.
»Gab es bei Ihnen nicht die Redensart – ›Das ist noch nichts‹?«
»Noch gar nichts«, verbesserte er zerstreut. Er war immer noch damit beschäftigt, die Größe des Komplexes abzuschätzen, als man ihm bereits die nächste Überraschung präsentierte. Wer hätte gedacht, daß eine Raumstation mit einer Untergrundbahn aufwarten könnte – einer zugegebenermaßen sehr kleinen Untergrundbahn mit einem einzigen Waggon für nicht mehr als ein Dutzend Fahrgäste.
»Panoramahalle Drei«, befahl Indra, und der Waggon entfernte sich rasch und lautlos von der Station.
Poole schaute auf das komplizierte Armband, dessen Funktionen er noch längst nicht alle kannte, um zu sehen, wie spät es war. Für ihn war es eine kleine Sensation gewesen, daß sich inzwischen die ganze Welt nach Universalzeit richtete. Die Einführung der globalen Kommunikationssysteme hatte das verwirrende
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