Die letzte Offenbarung
An sich immer ein interessantes Thema, allerdings fragte sich Amadeo, wie es jemand schaffte, unter diesen Bedingungen überhaupt einen Faden am Leib zu behalten.
»Unterwäsche? Die Damen im Film?«, fragte Mafalda. »Oder die echten Südstaatlerinnen.«
»Genau das meine ich!« Der Mann mit der Baseballkappe aschte achtlos auf den Boden. »Dieselbe Wäsche! Kein Schwanz bekam die zu sehen auf der Leinwand, aber sie wussten es, verstehen Sie? Sie wussten, was sie da trugen unter ihren Spitzentutus, diese paar Hundert räudigen Statisten!« Sein Blick fiel auf die grimmig dreinschauenden Rokokostatisten. »Sorry, is nich persönlich.« Er wedelte mit der Zigarre. »Und jetzt stellt da jemand was vor, dammit !«
Gehorsam kletterte ein Techniker zur Decke empor und machte sich an der Lampe zu schaffen, bis ein Grunzen vom Regiewagen her Zufriedenheit signalisierte.
» Well .« Der Mann mit der Baseballkappe nickte, biss eine neue Zigarrenspitze ab und spie sie in weitem Bogen aus. Sie verfehlte die Dolmetscherin nur um Zentimeter. »Alles bereit? — Und Action!«
In wiegendem Schritt kam Mafalda hinter dem Regiewagen hervor, trat ins Bild und schritt in die Menge hinein. Sie neigte sich nach links, nach rechts und wechselte einige gemurmelte Worte mit den Statisten — im Drehbuch war an dieser Stelle kein Text vorgesehen —, dann deutete sie grinsend vor Rebecca einen Knicks an. Die Kamera zeigte sie von hinten: Das Grinsen würde im Film nicht zu sehen sein. Jetzt stand sie lächelnd vor Amadeo, der einer Eingebung folgend nach ihrer Hand griff, sich vorbeugte und ihr einen Kuss aufhauchte. Diese Rokokomode — nicht zu verachten. Was da über der Schnürung aus ihrem Dekollete quoll...
»Cut, Cut!« Das Quietschen einer grauenhaften Rückkopplung übertönte das Gebrüll des Regisseurs beinahe noch. »Wer zur Hölle hat Ihnen gesagt...«
Amadeo fühlte sich von strafenden Blicken durchbohrt. Das war dann wohl das frühzeitige Ende seiner Filmkarriere, und er war nicht unglücklich darüber, schließlich mussten sie weg hier. Sie waren nicht nach Prag gekommen, um vor der Kamera den Hampelmann zu geben. Die Bibliothek war nur ein paar Räume entfernt — er hatte Schilder gesehen. Wenn sie eine Chance bekamen, sich dort ungestört umzusehen, dann heute Abend.
»Irrsinn! Mafalda, kommen Sie mal her!« Aufgeregt winkte der Mann mit der Baseballkappe die Sängerin heran. Anders als die Statisten hatte sie über Amadeos Aktion und ihre Folgen gekichert.
Sie schlenderte hinüber zum Regiewagen — so gut es sich in einer solchen Garderobe eben schlendern ließ — und beugte sich über einen kleinen Monitor, auf dem der Regisseur fasziniert etwas betrachtete.
»Sehen Sie das?«, fragte er und deutete mit der Zigarre auf einen Punkt des Bildes. »Dieser Blick, dieser dümmlich lüsterne Blick! Das ist genau der Blick, den ich mir wünsche, begreifen Sie?«
»Wessen Blick?«, fragte die Sängerin verwirrt.
Er verdrehte die Augen, dass die Pupillen im Schatten seiner Baseballkappe verschwanden. »Wessen Blick? Wessen Blick?«, äffte er sie nach. »Denkt hier denn niemand mit?
Wessen Blick wohl? Der von Erzherzogin Harriet Griselda von Finster-Aarhorn und Scand-op-Boom! Orlandos... was weiß ich. Dieses Wesen, das ihr... ihm... dauernd nachstellt.«
Amadeo hatte Virginia Woolfs großen Roman in seiner Oxforder Zeit gelesen, konnte sich aber nur noch dunkel daran erinnern. Die Handlung zog sich quer durch die Jahrhunderte, und einige Hauptfiguren wechselten mittendrin das Geschlecht. Wer diesen Stoff verfilmen wollte, musste schon etwas merkwürdig drauf sein. Wie hatte Helmbrecht mal gesagt? Nicht mehr alle Deckel auf dem Glas .
Der Regisseur blickte auf. »Den will ich haben!« Sein Zeigefinger zuckte in Richtung Amadeo wie ein Messer. »Das ist Erzherzogin Harriet!«
Einer der Regieassistenten hüstelte. »Ahm, Pete, du weißt, dass die Rolle schon besetzt ist?«
»Das ist sie«, erwiderte der Mann mit der Baseballkappe, »und zwar schlecht. Es ist mir egal, wie viele Oscars irgendso ein Depp im Schrank hat. Ich will den da!«
»Pete, das ist der Fotograf der New York Times« , wandte Mafalda vorsichtig ein. »Erinnern Sie sich? Ich hab Ihnen heute Nachmittag...«
»Umso besser! In dem Job kennt er keine Hemmungen. Na, wie sieht's aus, junger Mann?«
Mit offenem Mund stand Amadeo da. Jetzt lagen tatsächlich alle Blicke auf ihm.
Rebecca versteckte ihr breites Grinsen hinter einem Fächer aus
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