Die letzte Offenbarung
unser Geschlecht seit so langer Zeit bewahrt hatte, sie zerstörten die Dinge, mit denen sie nichts anfangen konnten, und was sie für wertvoll erachteten, das schleppten sie mit sich davon, nach Strahov.«
»Nach Strahov?«, murmelte Amadeo. Kloster Strahov, der Dreh heute Abend, Kloster Strahov und seine berühmte Bibliothek. Er hatte es besuchen wollen, damals vor Jahren, auf seinem Ausflug von Weimar aus, doch er war nicht mehr dazu gekommen.
»Dort wartet der Isidor auf Sie«, flüsterte die Alte. »Auf mich und darauf, dass der Kreis sich endlich schließt. Nach so langer...«
Amadeo spürte, dass er unvermittelt müde wurde. Wie Blei drückte der Schlaf nun auf seine Lider. Er konnte doch jetzt nicht... schlafen...
»... Zeit«, schloss Madame Istvana. Aber das bekam er schon nicht mehr mit.
LXII
»Wirklich, Amadeo.« Rebecca stand hinter ihm und betrachtete über seinen Scheitel hinweg sein Gesicht im Spiegel. »Ich beneide dich. Zuerst bekommst du das alles mit, während ich vor mich hin döse...«
»Das war kein schönes Erlebnis«, unterbrach er sie und ruckte unbehaglich auf dem Schminksessel hin und her, »und mir ist schlecht seitdem.«
»Schlecht ist mir auch«, wiegelte sie ab. »Das ist die Aufregung.«
»Dann müsste uns seit Tagen schlecht sein. Nein, das war dieses Zeug, das im Salon in der Luft lag. Hast du das nicht gerochen?« Kritisch zupfte er noch einmal an der Perücke. »Sitzt das Ding wirklich?«
»Mo grädh , du bist dafür geboren!«
»Mo grädh?« Er suchte ihren Blick. »Ist das irisch?«
»Mein Liebling«, übersetzte sie, »mein Süßer.«
»Mein Süßer?« Amadeo stierte sein Ebenbild an. Nein, es war ganz entschieden nicht sein Ebenbild. Er entsann sich eines Ensembles namens Rondo Veneziano , das in seiner Kindheit aufgepeppte und -gepoppte Versionen von etwas gespielt hatte, das entfernt an Barockmusik erinnerte. So kam er sich vor. Er sah einfach lächerlich aus unter dieser gepuderten Perücke, ganz zu schweigen vom Rest der Garderobe, den weißen Seidenstrümpfen und der protzigen Brokatweste. Nicht einmal das widerlich penetrante Duftwasser konnte den Gestank nach Mottenkugeln überdecken.
»Mein Süßer?«, wiederholte er. »Nimm mir dieses Ding ab, sofort!«
»Auf gar keinen Fall«, sagte Rebecca streng. »Das ist das Zweite, worum ich dich beneide! Weißt du, wie wenige Männer so etwas tragen können?«
»Ach ja?« Er drehte sich zu ihr um und musterte sie finster. »Wie viele Männer hast du denn schon in so was gesehen?«
Sie kicherte. »Du bist der Erste, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dieser Anblick zu schlagen ist. Warte mal.« Rebecca ließ ihre Hand über dem Schminktisch kreisen. Sie selbst bewegte sich bereits wie selbstverständlich in ihrem Kostüm, dabei musste es mit dem monströsen Reif um die Hüften bedeutend unbequemer sein als in seinem Gehrock. Der zwackte und spannte zwar, ließ aber wenigstens zu, dass Amadeo Atem holte.
»Ah, da ist es!« Sie nahm etwas in die Hand. »Stillhalten jetzt!«
Amadeo gehorchte, und schon schwirrte ihr Zeigefinger auf sein Gesicht los wie eine Stechmücke. Sie tippte ihm leicht auf die linke Wange. »Und pieks!«, sagte sie grinsend.
»Was ist das?« Er blickte in den Spiegel.
»Sieht man das nicht?« Rebecca trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk aus der Distanz. »Ein Schönheitspflaster, ein herzförmiges Schönheitspflaster.«
»Das sieht tuntig aus.«
»Sag bloß.« Rebecca kicherte. »War mir gar nicht aufgefallen. Mafalda sagt, die Ausstattung für diesen Film stellt sogar Ein Käfig voller Narren in den Schatten.«
»Wo bleibt sie überhaupt so lange?«, fragte Amadeo.
Als er, den brummenden Schädel in Rebeccas Schoß, auf der Chaiselongue erwacht war, war ihre Gastgeberin bereits fort gewesen. Sie hatte sich noch auf den Dreh im Kloster Strahov vorbereiten wollen, eine der Schlüsselszenen des Films, die auch für Amadeo und Rebecca auf einmal ganz besondere Bedeutung gewonnen hatte. So nahe würden sie dem Isidor so schnell nicht wieder kommen. Rebecca war sofort Feuer und Flamme gewesen von der Idee, sich in Strahov auf die Suche zu begeben. Fasziniert hatte sie Amadeos Geschichte seiner Begegnung mit Madame Istvana angehört. Ja, der Besuch in Strahov war die Gelegenheit überhaupt. Allerdings war der Regisseur augenscheinlich etwas eigen, und in den Räumlichkeiten des Klosters war wenig Platz. Journalist oder nicht: Wer beim Dreh dabei sein wollte,
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