Die letzte Offenbarung
»da oben« gewann eine gewisse Mehrdeutigkeit bei ihm, doch Amadeo vermutete, dass es sich einfach auf die höheren Ebenen der »Firma« bezog. Wie auch immer Maffei es gemacht hatte, er musste sofort erkannt haben, dass dieser Pater Ferdosi in seiner schlecht sitzenden Soutane nicht zu ihrer Organisation gehörte.
»Haben Sie nicht alles Notwendige erfahren?«, fragte Rebecca freundlich.
Der Zwerg sah spöttisch zu ihr auf: »Exakt so viel, wie sich nicht irgendwie vermeiden ließ.« Mit kleinen, aber beachtlich flotten Schritten ging er an ihnen vorbei. »Exakt so viel wie immer. Jetzt kommt schon, sonst lauf ich euch davon. «
Sie folgten ihm, Amadeo allerdings nicht ohne Bedauern: Gerade hatte er eine Espressomaschine entdeckt, halb versteckt hinter den Aktenbergen. Maffei zog im Gehen ein kleines Metalletui aus seiner cuculla . Amadeo war überrascht, dass es an dieser Stelle eine Tasche gab — aber vielleicht gab es die auch nur bei Maffei. Mit geschickten Bewegungen zündete der Zwerg sich einen Zigarrillo an, mit dem er nach links deutete.
»Dort seid ihr ungestört. Kein Mensch da heute.« Er nahm einen Zug und blies einen beachtlichen Rauchkringel in die Luft. »Ich werde dafür sorgen, dass es auch so bleibt.«
»Wir erwarten noch jemanden«, erwiderte Rebecca. »Mein Verbindungsmann wird...«
»Macht euch keinen Kopf«, fuhr Maffei ihr über den Mund. »Wenn ich die Jungs von der Firma nicht mehr an der Nase erkenne, könnt ihr mich einäschern.« Noch ein Rauchkringel, diesmal noch größer. Für einen Augenblick schwebte er wie ein Heiligenschein über seinem Kopf.
Fasziniert betrachtete Amadeo das Bild: Exakt so hatte er sich Hermann von Reichenau vorgestellt, den berühmten verkrüppelten Wissenschaftler aus dem frühen zehnten Jahrhundert. Nur der Zigarillo trübte das Bild.
Maffei stieß eine Tür auf. Dahinter befand sich ein heller, funktionell eingerichteter Raum mit einem halben Dutzend Arbeitstischen. Wäre da nicht die doppelverglaste Fensterfront gewesen, die auf die Vatikanischen Gärten hinausging, hätte man völlig vergessen können, wo man sich befand. Amadeo sah Scanner, Tischlupen — die vollständige Grundausstattung einer paläographischen Werkstatt. Alles, was er sich nur wünschen konnte.
Der Benediktiner trat vor ihnen in den Raum und machte sich an einem schweren Metallschrank zu schaffen, dessen Schlösser offenbar eigens in Maffeis Griffhöhe angebracht waren. Brummelnd öffnete der Bibliothekar die Schranktür und wählte zielsicher einen von mehreren Codices, die dort verwahrt wurden. Mit dem Saum seiner cuculla wischte er einmal oberflächlich darüber. Der Staub trieb Amadeo die Tränen in die Augen.
»Wir haben 'ne ganze Menge hier, und ich kenne das meiste«, murmelte der Zwerg. »Das hier hab ich noch nicht in der Hand gehabt.«
Eine Entschuldigung? Amadeo nahm den Folianten entgegen, und sofort fiel ihm auf, dass das Buch anders aussah als die Werke, die sie bisher in die Finger bekommen hatten. Es war schmaler, das Format kleiner, und zugleich gab es keinen Zweifel, dass es ein uraltes Manuskript war, keine Kopie wie das Buch, das Sheldon ihnen in der Radcliffe Camera ausgehändigt hatte. Amadeo zog sich einen der Stühle heran und legte den Codex vor sich auf dem Tisch ab. Der Einband bestand aus schlichtem, dünnem Leder, dessen ursprüngliche Färbung verblasst war. Auf dem Buchrücken war eine Signatur vermerkt, die Amadeo nichts sagte, aber auf dem Deckel klebte ein Post-it mit einer handschriftlichen Notiz: »Autogr. Gerb. ???« Zettel und Aufschrift waren höchstens ein paar Jahre alt.
Maffei baute sich vor dem Tisch auf. »Der Band, den ihr sucht?«, fragte er.
Amadeo befand sich genau auf Augenhöhe mit ihm. Ein Schwall des Tabakqualms glitt zehn Zentimeter an seiner rechten Schläfe vorüber. »Ich denke schon«, erwiderte er hustend.
»Gut.« Der Benediktiner wandte sich zur Tür. »Dann kann ich jetzt weiterarbeiten.«
Amadeo strich über den Einband. Gerbert von Aurillac, Silvester II. Der Papst der ersten Jahrtausendwende, ihr geheimnisvoller Freund. Dieser Band barg das Ende von Johannes' Geschichte. Alles sprach dafür. Die Erzählung des Apostels war fast bis zur Kreuzigung Christi gelangt, und es passte einfach, dass Gerbert das Ende der Geschichte in einem seiner eigenen Werke versteckt hatte — einem schlichten Bändchen für seinen persönlichen Gebrauch, keiner Prachthandschrift.
Es war merkwürdig: Amadeo konnte es spüren,
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