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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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ja, ihm war, als sei er mit diesen beiden Männern, jenem, der seine Offenbarung vor zweitausend Jahren niedergeschrieben hatte, und jenem, der sie vor eintausend Jahren ihren Verstecken anvertraut hatte, eine geheimnisvolle Verbindung eingegangen. Ob sie sich in ihren kühnsten Träumen hätten ausmalen können, unter welchen Umständen diese Schrift wieder ans Tageslicht kommen würde? Kein denkender Mensch hätte das ahnen können, und dennoch: Allein die Tatsache, dass die Fragmente und all die Codices, in denen sie sich verbargen, so lange Zeit überlebt hatten... Nun, er saß hier im Vatikan, dem Ort, an dem nach katholischem Glauben mehr wundertätige Reliquien versammelt waren als irgendwo sonst auf der Welt. Konnte es sein, dass die Offenbarung des Johannes tatsächlich auf ihn, auf Amadeo Fanelli aus den Marken, gewartet hatte?
    Und ihr werdet die Wahrheit erkennen. Und die Wahrheit wird euch frei machen .
    Rebecca legte die Hand auf Amadeos Schulter. »Caffè?« , fragte sie leise.
    Er grinste sie an. »Einen ristretto , bitte!«
    »Ich hab's versprochen«, gab sie lächelnd zurück und schloss leise die Tür hinter sich.
    Amadeo war allein, allein mit dem Ende der Geschichte. Mit einer seltsamen Scheu schlug er das Bändchen auf, sah am oberen Rand der ersten Seite den Inventurstempel der Vatikanischen Bibliotheken und daneben einige handschriftliche Kürzel — wohl älteren Datums —, die er nicht deuten konnte.
    Er blätterte weiter.
    Si.volueris.per.singularem.numerum.dividere.decenum.aut.centenum.aut.millenum.vel.simul.vel.intermisse.differentiam.a.singulari.ad.decenum.per.integram.denominationem.dividendi.multiplicabis.et.articulos.quidem.propria.denominatione.et(unleserich)posita.differentia.diminues.digitos.vero.digitis.agregabis .
    Es war die altbekannte klare Handschrift — und der Text, den sie erwartet hatten: eine Anleitung zum Gebrauch des Abakus. Das Bändchen war offenbar wenig in Gebrauch gewesen, und vielleicht hatte Gerbert ja genau darauf spekuliert: Ein schlichtes Büchlein würde kaum Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Möglicherweise war die Gefahr dann geringer, dass sein Geheimnis durch Zufall entdeckt wurde. Auf der anderen Seite hatte er damit rechnen müssen, dass ein so unscheinbarer Band leicht verlorengehen konnte, vielleicht sogar zerschnippelt wurde, um ihn zur Verstärkung neuer Codices einzusetzen. Das war im Mittelalter gängige Praxis, und genau das war es ja auch gewesen, was Amadeo am Anfang vermutet hatte, als er im Rücken des Hortulus auf das erste Fragment gestoßen war. Wie auch immer Gerberts Beweggründe ausgesehen hatten: Dieses Rätsel war wohl nicht zu lösen.
    Durch die Tür hörte er aufgeregte Stimmen. Offenbar war jetzt doch noch jemand eingetroffen, der den Arbeitsraum benutzen wollte. Egal, Maffei würde schon mit ihm fertig werden.
    Aus den Tiefen seiner Soutane holte Amadeo seine Ledermappe hervor. Dieses Täschchen mit den kleinen Werkzeugen, dem Vitriol und seinen amtlichen Dokumenten war das Einzige, was ihn auf seiner Reise durch Europa von Anfang bis Ende begleitet hatte — mit Ausnahme der Boxershorts, die er nebenbei seit mehr als zwei Tagen am Leibe trug. Seine Reisetasche stand in einem Hospiz in Köln, bei den Schwestern der Liebe Gottes von Merida. Das teure Sakko aus Oxford war in einem Autobahnmülleimer an der britischen M4 gelandet. Was er sonst noch an Garderobe besessen hatte, lag in der Villa Tepesz in Prag.
    Sogar mein Herz habe ich nebenbei verloren, dachte er, als es leise klopfte.
    »Ah, da kommt mein caffè!« , sagte er grinsend.
    Die Tür öffnete sich einen Spalt und schloss sich sofort wieder, ohne dass Rebecca eingetreten war. Amadeos Grinsen verstärkte sich. Er hatte gewusst, dass sie den ristretto vergessen würde.
    Mit einem leisen Lächeln nahm er die schmälste seiner Pinzetten zur Hand. Nein, der Mann, der sich nun daranmachte, den letzten Teil der Offenbarung aus seinem Versteck zu holen, war ein völlig anderer als derjenige, der durch puren Zufall im Rücken eines Hortulus ein Papyrusfragment gefunden hatte. Die Pinzette tastete sich vorsichtig in den Buchrücken vor. Sie stieß auf Widerstand. Millimeter um Millimeter zog Amadeo das Instrument zurück. Er hielt einen unbeschrifteten Fetzen umklammert, einen Pergamentfetzen, keinen Papyrus. Geduldig versuchte er es noch einmal, stocherte erst hierhin, dann dorthin.
    Er fand nichts.
    Stirnrunzelnd drehte er das Buch hin und her und versuchte, unter den

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