Die letzte Praline
trockenes Knäuel. Und dann …
… musste er dagegendrücken.
Ohne Unterlass. Bis an irgendeiner Stelle außerhalb seiner dunklen Welt ein Ventil platzte. Das musste doch geschehen, oder? Die Gesetze der Physik bewiesen es. Und die waren unbestechlich.
Seine Muskeln drohten zu erlahmen. Doch er durfte nicht nachlassen.
Pit hielt die Augen offen, obwohl er nichts sah.
Doch es fühlte sich an, als könne er den Schlaf so noch ein paar Minuten länger fernhalten.
Der Professor hatte das Gemälde Beatrice Reekmans in van der Elsts Chocolaterie abgegeben – der junge Mann war ihm zum Dank um den Hals gefallen. Danach hatte er sich bei einem Herrenausstatter in der Steenstraat komplett neu eingekleidet, da seine komplette Wechselgarderobe noch bei Madame Baels deponiert war. Es war keine Maßkleidung. Und der Stoff nicht fein gesponnen. Es juckte überall, als er die Sachen am nächsten Morgen anlegte, und es zwickte an Stellen, wo es nie zwicken sollte, wo es einfach unschicklich war, wenn es zwickte, weil man nicht ohne Gesichtsverlust die Kleidung dort durch einen kleinen Ruck in eine nichtzwickende Position bringen konnte.
Wie der Professor nach dem Frühstück durch einen Anruf im Hotel »De Boerenpummel« in Erfahrung brachte, war Pit immer noch nicht wieder aufgetaucht. Unverschämtheit! Wahrscheinlich war er zurück nach Cambridge, weil die Sehnsucht so gebrannt hatte. Ohne ihm ein Wort zu sagen. Der musste nicht meinen, noch mal von ihm zu hören. Adalbert war ehrlich enttäuscht.
»Na, das ist aber nett, dass du uns ausreichend Plätze freigehalten hast, Adi. Familientisch sozusagen!« Wolfram setzte sich zu ihm und Benno – Elfi, Kevin, Chantalle, Angelina und Heinz-Horst auch.
»Gestern haben wir uns die Frittenolympiade angeschaut, das ist vielleicht ein Spektakel, sage ich dir!« Elfi schien immer noch beeindruckt. »Und dieses Atom aus Fritten, das ist ja wahnsinnig groß, wirklich sehr beeindruckend. Sind eure Schokoskulpturen ja auch, nur halt nicht so groß.«
»Also winzig dagegen, sag es dem Adi doch ehrlich«, brachte Wolfram es auf den Punkt. »Da könnt ihr nicht mithalten, ist halt so. Je größer, desto besser. Deshalb bieten wir demnächst auch richtig große Fritten bei uns an. Die größten von ganz Bietigheim. Und große Pralinen, größer noch als die belgischen, doppelt so groß, mega, sagt man ja heutzutage.«
»Das schauen wir dann mal, wenn wir wieder zu Hause sind, Wölfchen. Wo ist denn dein Freund, dieser Peter?«
»Pit. Ich weiß nichts über seinen aktuellen Aufenthaltsort«, entgegnete Adalbert muffig.
»Habt ihr euch gestritten? Bist wieder mal oberschlau gewesen?« Wolfi knuffte ihn.
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Manchmal kannst du schon sehr anstrengend sein, Adi. Macht dir doch nix aus, wenn ich den letzten Käse nehme, oder? Und die Wurst auch, dein Benno sieht schon genauso satt aus wie du.«
Wölfchen musste was auf den Augen haben, Benno sah nie satt aus. Selbst wenn er einen Blauwal vertilgt hatte.
»Wir kommen heute übrigens zum Finale!«, verkündete Elfi mit strahlenden Augen. »Bei den Buchmachern steht dieser Macallan mittlerweile vor Cloizel, dann unsere Vanessa und danach dieser Isländer. Wir drücken natürlich der Vanessa ganz feste die Daumen.«
»Ach was, du willst doch, dass dieser Schotte gewinnt, von dem hängst du dir zu Hause sicher ein Foto in den Spind«, raunte Wolfi mit vollem Mund.
Adalbert zog seine goldene Taschenuhr an der Kette hervor. »Oha, ich muss dringend los. Ihr entschuldigt mich und Benno.«
»Wir entschuldigen alles«, sagte Wolfram. »Nur nicht zu wenig Kaffee am Morgen. Bedienung! Zacki, zacki, der Papa hat Durst.«
Adalbert wickelte am Büfett ein Stück Boerewurst als Wegzehrung in eine Papierserviette ein und verschwand. Zum ersten Mal in seinem Leben dachte er über eine Namensänderung nach.
Dass es regnete, passte zu Adalberts Laune, jedes andere Wetter wäre Hohn gewesen. Immerhin hielt sein rotweißer Regenschirm – in den Farben des Hamburger Stadtwappens und mit poliertem Mahagonigriff – ihn stilvoll trocken.
Schon Hunderte Meter vom Ort des Finales entfernt waren alle Parkplätze besetzt, selbst die inoffiziellen. Fernsehteams aus aller Welt waren eingetroffen, dazu Zeitungs- und Magazinjournalisten. Die Morde und Madame Baels’ finanzielle Verflechtungen hatten das mediale Interesse an der Weltmeisterschaft potenziert – mehr als bei jedem Wettbewerb der Chocolatiers zuvor. Wer auch immer
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