Die letzte Praline
ich Lügen leid bin? Sonst sage ich es gerne noch mal. Aber erst verständige ich die Polizei, dann können Sie dieser Ihre Märchen erzählen. Meinen Hund hole ich danach ab. Es kann allerdings etwas dauern, da ich nicht im Besitz eines tragbaren Telefons bin und nicht weiß, wo sich im Haus ein stationärer Fernsprechapparat befindet.«
»Warten Sie!«, drang es durch die Tür. »Ich bin nur ein Beobachter, ein kleines Rädchen. Nur ein Berichterstatter …«
»Sie spionieren!«
»Ich tu doch keinem weh, sondern leite nur weiter, wie alles gemacht wird. Kleinigkeiten, die sowieso irgendwann herauskommen. Die meisten Chocolatiers werden ihre Rezepte hinterher veröffentlichen.«
»Aber nicht alle Geheimnisse, das wissen Sie genauso gut wie ich.« Auch wenn der Inhaftierte es nicht sehen konnte, war dies wieder ein Moment für Adalberts erhobenen Zeigefinger. »Wie bei Kochbüchern von Spitzenköchen. Alle Tricks werden nie verraten. Und Sie schöpfen genau diese Tricks ab. Zuerst in zwei verschiedenen Verkleidungen bei Vanessa Hohenhausen, nun bei Pierre Cloizel, und wer weiß, bei wem noch. Das ist geistiger Diebstahl. Und wer weiß, vielleicht hat Franky van der Elst Sie erwischt, wollte sich nicht bestehlen lassen und stattdessen einen Skandal entfachen? Und Sie wollten diesen um jeden Preis vermeiden?«
»Haben Sie eben nicht gehört, dass ich von Pralines Aristoteles komme?« Der Rothaarige blieb bei seiner Geschichte. »Ohne die wären Sie gar nicht hier, Professor, was meinen Sie, wer Ihre Aufwandsentschädigung und Ihr Hotelzimmer zahlt?«
»Es ist mir völlig egal, wer Sie geschickt hat, und wenn Sie der Sondergesandte des Papstes wären, Sie werden sich der Polizei stellen und der Öffentlichkeit gegenüber verantworten.«
»Mein Auftraggeber wird seine finanzielle Unterstützung zurückziehen!«
»Das wollen wir ja mal sehen. Ich wage es schwer zu bezweifeln, und das Risiko gehe ich ein. Mit allem Geld der Welt können Sie sich nicht freikaufen. Dies ist meine Weltmeisterschaft, und sie läuft sauber ab. Ich will nichts mehr von Ihnen hören. Benno, fass!«
»Was haben Sie gesagt? Nein! Nein!!!!! – Was ist jetzt? Ist er tot? Habe ich ihn eben doch erwischt?«
»Er tut nur so. Sagen Sie ihm bloß nicht, dass er ein Braver ist.« Adalbert kicherte leise.
»Ja, du bist aber ein Braver. Aua! Das war meine Hand!«
Bietigheim beschloss, die Deeskalation einzuleiten. »Stellen Sie sich mit dem Rücken zur Tür an die Wand. Und keine Tricks! Ich kann es durch das Schlüsselloch sehen.«
Der Rothaarige tat wie befohlen.
Dann öffnete Adalbert die Tür und rollte das Stück Boerewurst vom Frühstücksbüfett aus der Papierserviette. Der kleine Foxterrier stürzte sich darauf, der Professor musste lächeln. Egal, wie revolutionär Bennos Wesen war, Fressen ging stets vor.
Die restliche Zeit bis zum Öffnen der Vorhänge verging erfreulich ereignislos. Die rückwärtszählende Digitaluhr am Saalende näherte sich der Null, die letzten zehn Sekunden wurden von der Menge laut mitgezählt, dann rief Bietigheim, »Rien ne va plus «, und die Stewarts zogen gleichzeitig die Vorhänge fort. Nun erst war zu sehen, dass hinter den Küchenzeilen große Nationalflaggen entsprechend der Herkunft der Chocolatiers aufgehängt worden waren.
Allen Chocolatiers war der Stress anzusehen, ihr Lächeln wirkte angestrengt. Bis auf das von Edward Macallan. Dieses wirkte selbstsicher und frech.
Der Professor bat alle Anwesenden um eine Schweigeminute für den verstorbenen Franky van der Elst. Der angespannte Saal quälte sich durch die sechzig Sekunden, ehe Bietigheim allen für ihre Geduld dankte. Per Losentscheid war entschieden worden, dass zuerst Vanessa Hohenhausen, dann Jón Gnarr, anschließend Pierre Cloizel und schlussendlich der siegessichere Schotte Edward Macallan ihre Skulpturen präsentieren sollten.
Der jungen Deutschen wurde ein Mikrofon gereicht, in charmantem Englisch sagte sie: »Ich nenne meine Skulptur ›Köstliche Heimat‹, sie zeigt das Gebäude des Weinbauvereins Dernau. Die Skulptur ist einen Meter zweiundvierzig hoch und aus dreierlei Schokoladen gefertigt, die ich von Walrhano bezogen und selbst verfeinert habe: feinherb, Alpenmilch und weiße Schokolade. Vor dem Haus sehen Sie kleine Barriquefässer, exakt achtzehn Stück. Dies sind Pralinen mit klassischer Trüffelfüllung. Entsprechend ihrem Anteil am Weinanbau in meiner Heimatregion habe ich der Füllung eine Mischung aus verschiedenen
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