Die letzte Praline
schokoladenbraunen Lippen, das prächtige Collier, das ihm nun erstmals auffiel, ihr größtenteils transparentes Kleid, ihre gerade Haltung, als stünde sie an der Ballettstange. Adalbert fand, dass der junge van der Elst dieses Bild erhalten sollte. Ein wenig Licht im Dunkel für ihn.
Er nahm es deshalb einfach mit.
Doch bevor Adalbert dem Junior das Bild seiner Verflossenen übergeben würde, musste er noch einen kurzen Abstecher in den Jan Garemijnsaal machen, der sich im Westflügel der Tuchhallen befand, aus deren Mitte der Belfried spross. Heute durften die Chocolatiers erstmals ihre Plätze sehen und probearbeiten – allerdings nichts für das Finale vorbereiten. Es ging darum, dass sie sich an die Gerätschaften und ihren Aufbau gewöhnten, der aus Platzgründen anders als zuvor war.
Ein Teil der Strecke, die der Professor mitsamt Benno zu Fuß zurücklegte, führte ihn über Pflastersteine, und mit einem Mal begriff er, dass sie es waren, die ihm am stärksten das Gefühl von Historie gaben. Die Form der polierten Steine, die er spürte, wenn er über sie schritt, der Klang der Ledersohlen seiner handgenähten italienischen Schuhe darauf, dieses harte, scharfe Geräusch, das von den Wänden der alten Häuser widerhallte. Mit jedem Schritt zogen ihn die Steine um Jahrhunderte zurück.
Eine kleine Zeitreise, die ihn sonst immer entspannte. Doch heute nicht. Und der Tag wurde tatsächlich noch schlimmer. Ja, er legte einen großen fettigen Batzen obendrauf. Denn die größte Frittenskulptur der Welt war ausgerechnet im Innenhof der Tuchhallen errichtet worden und damit quasi auf der Fußmatte des Chocolatiersfinales. Sie kündete von der physikalischen Schönheit des Atomiums in Frittenform. Der ganze Platz roch danach. Benno bellte hungrig und drehte sich im Kreis.
Da das unappetitliche Monstrum mit einem sicher zehn Meter hohen Pavillon geschützt war, würde selbst ein Sturmregen diesen Schandfleck nicht aus der Brügger Innenstadt hinwegwaschen können. Wo war nur Pit mit seinem unbändigen Frittenhunger, wenn man ihn brauchte? Vermutlich schlug er sich gerade in diesem Moment den Magen voll. Sollte er doch bleiben, wo er wollte! Adalbert würde ihm ganz bestimmt nicht hinterherlaufen.
Der LKW mit den Schokoskulpturen hielt bereits vor dem Gebäude. Sorgfältig wurde jede einzeln und aufwendig verpackt hineingetragen. Bietigheim folgte ihnen.
Der Saal aus dem 13. Jahrhundert war wunderschön, mit einem von Säulen gehaltenen Kreuzgewölbe und einem edel aus zweierlei Grautönen gefliesten Boden.
Hier würde also das Finale stattfinden.
Die vier Teilnehmer waren anwesend – auch Nachrücker Jón Gnarr, der gerade die Messer in seiner Besteckschublade neu sortierte. Pierre Cloizel machte Bewegungen, die an Tai-Chi erinnerten, doch vermutlich nur dem Test dienten, ob seine Bewegungsabläufe in diese Küchenzeile passten. Als der Franzose fertig war, rückte er den Kühlschrank gute zwei Zentimeter näher an die Arbeitsplatte heran.
Edward Macallan hatte einen Kuchen im Ofen und schaute ihm erfreut beim Aufgehen zu. Als Adalbert näher trat, wandte er sich diesem zu. »Wollen Sie gleich auch was von meinem Whisky-Spongecake? Gefüllt mit lecker Orangenschokolade!«
»Sie wissen doch, dass Sie keine Vorbereitungen zum Finale durchführen dürfen!«, rügte Adalbert den Schotten.
»Mach ich ja auch nicht. Den hier backe ich nur zum Spaß, weil ich ihn so gern esse, ist ein Rezept von meiner Mutter. Sonst kann sie nix, aber diesen einen Kuchen.« Macallan grinste.
»Sie sollen diese Küche kennenlernen, nicht zu Ihrem Privatvergnügen Kuchen backen.«
»Und wie lernt man eine Küche am besten kennen? Indem man sie benutzt!«
Auch Vanessa Hohenhausen war dieser Ansicht. Sie modulierte gerade eine pralle Weinrebe in Originalgröße, mitsamt Blättern aus grün eingefärbter weißer Schokolade. Um sie zum Stehen zu bekommen, drückte sie einen kleinen Stahlwinkel in die weiche Schokolade und verputzte die Stelle danach perfekt. Es hielt! Die Ahrtalerin strahlte und schoss mit ihrem Handy ein Foto von dem Werk. Auch Adalberts Herz begann sich wieder zu erwärmen. Deshalb war er hier. Weil Schokolade so etwas Wundervolles war. Weil sie schon beim Anblick glücklich machte, weil dieser ein Versprechen für das Vergnügen am Gaumen war. Hohenhausens kleine Skulptur versprach allein aufgrund ihres samtigen Glanzes eine hohe Schokoladenqualität. Sie lockte förmlich zum Reinbeißen – und doch würde
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