Die letzte Praline
nicht aus dem Kopf ging.
KAPITEL 2
Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen …
… irgendwer schnappt dir immer das Beste weg.
Ohne es zu merken, schmierte sich Adalbert fünfmal hintereinander Lavendelhonig auf sein Brot und streichelte Benno weiter, nachdem dieser seinen Kopf längst weggezogen hatte und nur noch ein Kissen neben ihm lag. Denn der Professor studierte die vor ihm neben dem Teller liegende Zeitung, welche zwar über Beatrice Reekmans’ Tod berichtete, jedoch kein Wort zu den genauen Umständen verlor. Es war nur die Rede von einem »nicht natürlichen Tod«. Hauptkommissar Pieter Aspe hielt den Deckel fest drauf. Kein Wort über den Angriff des Kostümierten auf Jana Elisa da Costa – obwohl es nicht weit hergeholt schien, einen Zusammenhang mit dem Mord herzustellen. Der Brasilianerin ging es wieder besser, die Bewusstlosigkeit war nur von kurzer Dauer gewesen. Über Nacht hatte man sie zur Beobachtung im Krankenhaus behalten, doch rechtzeitig zum Wettbewerb würde sie wieder entlassen werden.
Unruhe ergoss sich über Adalbert wie zähflüssige Schokolade. Irgendetwas stimmte nicht. Dabei strahlte die Sonne wärmend durch das alte Bleiglasfenster herein, das Frühstück war exzellent, und sogar der Scottish Breakfast Tea war korrekt zubereitet.
Und doch.
Nur wenige andere Gäste saßen im Frühstücksraum des »Relais Bourgondisch Cruyce« – und keiner blickte zu ihm. Drei Gäste waren hinter der heutigen Ausgabe des »De Standaard« versteckt. Keiner der Chocolatiers konnte darunter sein, da diese in einem separaten Hotel am Rande Brügges untergebracht waren. Es galt, allzu große Nähe zwischen Jury und Wettbewerbern zu vermeiden.
Selbst Benno benahm sich und knabberte nicht die Schuhe, Taschen oder Hunde anderer Gäste an.
Apropos Benno: Wo steckte er eigentlich? Eben war er doch noch … und jetzt: nirgendwo zu sehen. Vielleicht würden gleich Schreie aus der Küche erklingen und ein Ober mit einem Foxterrier am Arm heraussprinten.
Adalbert schüttelte den Kopf, vertrieb den Gedanken damit und ließ die morgendliche Gelassenheit des alten Brügge wieder den Takt vorgeben.
Doch dann verdunkelte sich die Welt.
Ein Schatten fiel über sie, als wäre ein Ufo von der Größe New Yorks über der Stadt aufgetaucht.
»Moin!« Es schallte durch den Raum wie ein Paukenschlag.
»Moin«, erwiderte Bietigheim reflexartig, als Hamburger Jung ging es einfach nicht anders.
Dann gewöhnten sich seine Augen an den verminderten Lichteinfall. Er kannte den Verdunkler, sehr gut sogar. Es war ein Mann, den man nicht vergaß, wenn man ihn einmal erblickt hatte. Ungefähr so, wie man den Eiffelturm nicht vergaß, wenn man ihn einmal gesehen hatte. Oder passender: eine Massenkarambolage auf der A1. Der Mann wirkte wie ein ausgewachsener Gorilla, den man komplett rasiert, in schwarzes Leder mit Nieten gewickelt und mit einem schlohweißen Bart versehen hatte. Sein Name: Pit Kossitzke. Eigentlich war er Hamburger Taxifahrer, doch die Liebe hatte ihn nach Cambridge verschlagen, wo er nun – Adalberts Hirnwindungen knirschten immer noch, wenn er versuchte, sich dies vorzustellen – mit seiner Freundin ein Teehaus leitete. Ein Steakhouse wäre naheliegender gewesen.
Doch nun war er offenbar weder in Hamburg noch in England, sondern hier in Brügge. Stand genau vor ihm.
»Das ist ja ein unfassbarer Zufall!«, sagte Pit grinsend. »Kann ich mich zu Ihnen setzen, Professore? Zwei Hamburger im Exil, da müssen wir doch zusammenrücken.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, holte er seinen Teller vom anderen Ende des Raumes und machte sich gegenüber von Adalbert an dessen Tisch breit. Erst dabei fiel diesem auf, dass Pit seinen geliebten Benno unter dem Arm trug – welcher gerade auf irgendetwas herumkaute. Ja, er hatte die Backen prall gefüllt. So hatte Pit den Foxterrier also zu sich gelockt!
»Erzählen Sie mir doch nicht, Sie seien zufällig hier und hätten mich zufällig getroffen!«, empörte sich Bietigheim. »Es geht um den Mord, Sie haben wegen unserer Ermittlungserfolge so viel Spaß daran gefunden, dass Sie nicht mehr davon lassen können!«
Pit hob die Augenbrauen und blickte unschuldig – so sehr das einem Mann mit tätowiertem Morgenstern auf dem Unterarm möglich war. »Mord? Ich bin wegen dieser Schokoladendingsbums hier. Wirklich! Schokolade ist voll meins, und der eine macht ja Pralinen mit Fleisch. Rinderkrokant oder Büffeltrüffel. Geht es besser? Nee, ne? Muss ich sehen. Von
Weitere Kostenlose Bücher