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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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näherte er sich dem in einem Spotlicht stehenden Mikrofon, doch er sprach so laut, tief und volltönend, dass er gar keines gebraucht hätte.
    »Es ist so weit, der Moment, auf den Sie alle gewartet haben, ist gekommen«, setzte er an. »Die Bekanntgabe des Weltmeisters der Chocolatiers. Damit endet heute der diesjährige Wettbewerb. Ich möchte nicht von einem lachenden und einem weinenden Auge sprechen. Wir alle hatten viel zu viel von Letzterem. Doch für einen Augenblick wollen, ja müssen wir dies ausblenden, denn unabhängig von den schrecklichen Geschehnissen der letzten Tage haben die Finalisten ungeheure Leistungen erbracht. Das Niveau bei einer Weltmeisterschaft war noch niemals so hoch wie hier in Brügge, und der Sieger – oder die Siegerin – kann sich wahrhaft als König der Chocolatiers fühlen. Ich darf Sie etwas hinter die verschlossenen Türen der Juryarbeit schauen lassen und sagen, dass uns die Wahl sehr schwerfiel, denn alle vier Finalisten wären würdige Sieger gewesen. Und doch gab es einen Kandidaten – oder eine Kandidatin –, der eben diesen einen, entscheidenden Hauch besser war als alle anderen. Alle anderen auf diesem Erdball.« Bietigheim holte tief Luft. »Wir fangen an mit Platz vier, und obwohl dies der undankbarste Rang ist, möchte ich hervorheben, dass die entsprechende Person es bewundernswerterweise ins Finale geschafft hat und zu den Top vier der Welt gehört. Und das als jüngste Teilnehmerin! Auf Rang vier die beste Chocolatière der Welt: Vanessa Hohenhausen aus dem schönen Ahrtal!«
    Beifall brandete auf. Vanessa Hohenhausen kam auf die Bühne, Tränen in den Augen, nahm die Urkunde und einen Händedruck des Professors entgegen und fiel diesem dann vor lauter Glück um den Hals.
    »Sie müssen nicht enttäuscht sein!«
    »Bin ich nicht. Kein bisschen.«
    »Sie können stolz auf sich sein, die Zukunft gehört Ihnen«, flüsterte Adalbert ihr ins Ohr. »Julius kann von Glück sagen, dass er Sie in seiner Küchenmannschaft hat. Meine ausdrückliche Bewunderung.«
    Sie wischte sich die Tränen weg, hielt die gerahmte Urkunde hoch, genoss lachend das Blitzlichtgewitter, erhielt von Mareijke Dovendaan einen großen Blumenstrauß und rief »Frühburgunder-Power!«, als sie zurück in den Bühnenhintergrund trat, um dort Platz drei zu erwarten. Mareijke Dovendaan eilte, um ihr noch eine Skulptur zu überreichen – für die Vanessa Hohenhausen aber keine Hand mehr frei hatte.
    »Platz drei und damit die Bronzemedaille, ist für alle eine Überraschung«, fuhr Adalbert nun fort und genoss im Folgenden die Kunst der wohl gesetzten Pause. »Ich darf sagen, dass ich jemanden wie den Großmeister Urs Egeli aus dem bedeutenden Schokoladenland Schweiz in diesem erlauchten Kreis erwartet hätte.« Vereinzelt waren Buhrufe zu hören. »Doch erstmalig in der Geschichte der Chocolatierskunst hat es jemand aus einem Land ins Finale und auf Anhieb auf den dritten Platz geschafft, das keinerlei Historie in diesem Bereich vorweisen kann. Umso beeindruckender ist die Leistung des Chocolatiers. Meine Damen und Herren: Jón Gnarr.«
    Der Isländer trat sichtlich enttäuscht auf die Bühne. Trotzdem umarmte er den Professor. Als er jedoch zu Küssen ansetzte, entzog sich Adalbert. »Das ist nicht nötig, wirklich nicht. Leben Sie das bitte bei Frau Dovendaan aus.«
    »Ich war der Beste! Und jeder weiß das«, moserte der Chocolatier.
    »Die Jury war sich einig, dass dem nicht so ist«, unterstrich Adalbert. »Niemand sah Sie auf Rang eins. Es war ein Zweikampf. Trotzdem ist Ihre Leistung großartig, obwohl Ihr Verhalten nun keinerlei Größe zeigt.«
    Gnarr lächtelte mit aufeinandergepressten Lippen. »Sie sehen mich wieder!«
    Er stellte sich neben Vanessa Hohenhausen.
    »Nur noch zwei Kandidaten sind im Rennen«, setzte der Professor an. »Edward Macallan und Pierre Cloizel. Lassen Sie mich etwas ausholen, bevor ich deren Platzierungen verkünde. Die Patisserie ist keine L’art pour l’art, keine Kunst nur um der Kunst willen, sie ist stets für den Genießer. Pralinen sind vielleicht das spielerischste, neckischste aller Lebensmittel. Natürlich gibt es sehr ernste Pralinen – denken wir an ›Maison du Chocolat‹ –, die schlichte Perfektion leben und deren Genuss fast einem Zen-Erlebnis entspricht. Auf der anderen Seite finden sich Schokoladen wie die von der fabelhaften Manufaktur Zotter, bei denen auch mit Fruchtgummi, Tomatenketchup, Holunderblüten oder gar Spargelpüree

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