Die letzte Praline
Glückskick beim Schokoladeessen – einfach deshalb, weil sie demjenigen, der sie aß, gut schmeckte, und dieser ihren Genuss mit positiven Emotionen verband. Das lernte das Gehirn und schüttete Dopamin aus.
Gerade konnte Adalbert viel Dopamin gebrauchen. Er vernichtete knapp anderthalb Kilo Pralinen, begleitet von einer selbst und deshalb perfekt zubereiteten Tasse stark gerösteten Oolong-Tees der Sorte Rou Gui Gui Fei Nostalgia. Danach wanderte er umher und suchte Menschen, die er an seinem reichhaltigen Wissen teilhaben lassen konnte. Auch wenn sie alle nur wenig Zeit hatten, da es so viel zu tun gab, war es doch immer weise, eine gewisse Zeit einem lehrreichen Kurzvortrag zu lauschen. Nachdem er einige davon gehalten hatte, war das Museum wie entvölkert. Niemand zu sehen, egal, wohin er ging.
Nichtsdestotrotz hatte er so etwas Zeit herumgebracht.
Jetzt war es gleich so weit.
Schon lange vor Einlass stand Bietigheim hinter dem Bühnenvorhang. Dann beobachtete er, wie sich der Saal füllte, hoffte auf Madame Baels, eine Erklärung von ihr und die Rückgabe seiner Kleidung, gleichermaßen fürchtete er sich vor den Lüdenscheid-Bietigheims.
Seine Hoffnungen wurden enttäuscht, seine Befürchtungen dafür nicht. Madame Baels blieb fern, die Verwandtschaft kam.
Mareijke Dovendaan stand am Eingang des Saals, im hauchdünnen Seidenkostüm der Chocofee mit Kakaoblüten in ihrem aufwendig toupierten Haar, sah bezaubernd aus, lächelte charmant und begrüßte alle Gäste, die in Abendkleidern und Smokings erschienen. Zuerst spielte ein Streichquartett, es gab einen Champagnerempfang und Fingerfood, Letzteres natürlich mit Schokolade zubereitet, aber dennoch herzhaft.
Um Punkt acht Uhr wurden die großen Türen des Saals geschlossen, das Licht wurde gedimmt, die Gespräche ebbten langsam ab, der eine oder andere nahm zur Stärkung schnell noch einen Schluck aus seinem Champagnerglas. Ein Jazztrio spielte – auf Adalberts Wunsch – »Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann«, auch wenn nur wenige der Anwesenden diesen musikalischen Witz verstanden. Gefolgt von Bernhard Brinks »7 Tafeln Schokolade«. Dann betrat Mareijke Dovendaan die Bühne, nun in einem atemberaubenden roten Etuikleid mit tiefem Dekolleté. Grazil trat sie ans Mikrofon und breitete die Arme aus.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Schokoladenfans.« Es folgten ein kurzer Dank und die Namen sämtlicher Honoratioren und Sponsoren. »Ich darf Sie ganz herzlich in unserem Haus begrüßen. Sie alle sind schrecklich gespannt, das weiß ich, deshalb werde ich mich kurz fassen. Doch es gibt Wichtiges zu sagen. Zum einen habe ich beschlossen, dass wir im Schokoladenmuseum der Stadt Brügge eine ›Hall Of Fame‹ der wichtigsten Schokoladenpersönlichkeiten entstehen lassen werden. Selbstverständlich werden Jean Neuhaus, Daniel Peter und Rudolph Lindt darin gewürdigt werden, doch die erste Tafel wird einem Belgier zuteilwerden: Franky van der Elst.«
Stürmischer Applaus wallte auf. Nur Willem Reekmans rief: »Mörder! Wie können Sie einen Mörder ehren? Dieses Schwein hat meine Tochter umgebracht!«
Mareijke Dovendaan reagierte souverän. »Franky van der Elst war kein Mörder, und das werden die Untersuchungen der Polizei sicher beweisen. Unser aller Anteilnahme ist Ihnen gewiss, Herr Reekmans. Ihr Verlust ist unermesslich. Beatrice war auch mir eine gute Freundin, sie fehlt unglaublich.« Mareijke Dovendaan senkte den Kopf. Als sie wieder aufblickte, räusperte sie sich kurz, wischte eine Träne aus ihren Augen und fuhr gefasst fort: »Nun darf ich den größten Künstler, nicht nur unserer Stadt, sondern ganz Flanderns, wenn nicht ganz Belgiens auf die Bühne bitten: Fred de Vaele.«
Höflich gab ihr der derart Gebauchpinselte einen Handkuss. De Vaele hatte eine vierteilige Skulpturenserie für die Finalisten erschaffen, die er »Traum der werdenden Schokolade« nannte. Jede der vier Skulpturen zeigte – allgemeinverträglich naturalistisch gestaltet – eine junge Frau, die gerade geerntete Kakaobohnen an sich drückte, sie aushöhlte, Schokolade in eine Form goss und sie schließlich aß. Die Frau war eindeutig Mareijke Dovendaan.
Diese bedankte sich danach, ohne rot zu werden, bei de Vaele für die großzügige Spende und heischte einen Riesenapplaus für den Stümper ein. Dann endlich übergab sie das Wort an Prof. Dr. Dr. Adalbert Bietigheim. Wie ein Pfau spreizte dieser sein Gefieder, huldvoll
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