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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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gearbeitet wird und die den kindlichen Spaß am Süßen nach vorne stellen – mit herausragenden Zutaten und ebensolchen Ergebnissen. Die Entscheidung der Jury soll nicht als Grundsatzentscheidung zwischen diesen Schulen verstanden werden«, betonte Adalbert und ließ seinen Blick einen Moment lang über die Runde schweifen. »Beide braucht die Chocolatierskunst, beide haben ihre Anhänger, keine ist moderner als die andere, jede entwickelt sich weiter. Seien wir offen gegenüber Traditionellem und Neuem, schätzen wir alles für das, was es ist. Ich darf nun die beiden Besten der Weltmeisterschaft zu mir auf die Bühne bitten. Ein Applaus, bitte, und, falls möglich, ein tosender!«
    Die zwei traten unter tatsächlich tosendem Applaus auf die Bühne, doch ohne Freude in ihren Gesichtern. Sie wollten endlich wissen, wer der Sieger und wer der Verlierer war. Adalbert kannte diese Unruhe von Benno. Vor dem Essen mochte er keine lieben Worte mehr hören, keine Streicheleinheiten, er wollte nur noch fressen. Das Licht änderte sich, auf beide Chocolatiers wurde ein Spot gerichtet, weiterhin einer auf Adalbert. Gleich würden zwei Spots ausgehen und nur noch der Sieger im gleißenden Licht stehen.
    »Manches, was spektakulär aussieht, erfüllt sein Versprechen am Gaumen leider nicht, doch bei den Schöpfungen dieser beiden ist es anders. Das Auge wird genauso verwöhnt wie die Geschmackspapillen. Der Gewinner und Weltmeister der Chocolatiers ist …«
    Oh, wie liebte Adalbert diese letzte Pause, wie herrlich still es war, niemand traute sich, einen Mucks zu machen, selbst das Atmen wurde eingestellt. Der Professor blickte in die Runde, lächelte, holte tief Luft und …
    Dann passierten zwei Dinge nahezu zeitgleich.
    Professor Dr.   Dr.   Adalbert Bietigheim sagte den Namen des Siegers.
    Im gleichen Moment tauchte eine verschleierte Frau am Saalende auf und sprach mit lauter Stimme einen ganz anderen Namen aus.
    Der Name, den Adalbert aussprach, der Name des Siegers war: Pierre Cloizel.
    Edward Macallans Gesicht zeigte ehrliche Bewunderung für den Franzosen, schon in dem Moment, als der erste Buchstabe seines Konkurrenten genannt wurde, drehte er sich zu diesem, um ihm die Hand zu schütteln. Dessen Gesicht allerdings war ein massiver Auffahrunfall. Zuerst die unbändige Freude, die Erleichterung, dass sich all die Arbeit gelohnt hatte, die tonnenschwere Last, welche seine Schultern verlassen hatte, die Euphorie über einen großen Sieg, das tiefe Glück, seiner Familie Stolz bereitet zu haben. Schon all das wäre für ein Gesicht kaum zu schaffen gewesen. Dazu kam nun die Wut, dass ihm dieser Augenblick durch den Zwischenruf gestohlen worden war, dieser einzigartige Moment seines Lebens verdorben. Cloizels Mund übernahm den freudigen Teil, die Augen den Rest. Es sah aus, als sei ihm eine Frau mit einem hohen Absatz auf die Füße getreten und hätte ihn gleichzeitig sanft auf den Nacken geküsst.
    Adalbert konnte es verstehen, dies war wirklich schlechtes Timing.
    Vorgesehen war, dass er nun das Mikrofon für die Dankesworte an Cloizel weitergab, doch die verschleierte Frau – ohne jeden Zweifel Jana Elisa da Costa – rief abermals. »Der Jaguarkrieger! Er ist unten in der Testküche!«
    Vor die Wahl gestellt, ob sie klatschen oder live ein Verbrechen bezeugen wollten, hätte sich wohl jede Menschenmenge für Letzteres entschieden. Die Gelegenheit kam einfach viel seltener. Und so strömten alle hinunter. Auch die Chocolatiers, niemand blieb zurück. Die Verschleierte vergewisserte sich dessen.
    Mit ernster Miene schritt Bietigheim an ihr vorbei.
    Er schaffte es nicht mehr.
    Selbst mit den »Kastelruther Spatzen«, selbst mit »Patrona Bavariae«.
    Die Müdigkeit war überall in seinem Körper, in jeder Zelle, seine Muskeln konnten seinen Körper nicht länger aufrecht halten, seine Lunge wollte diese lächerliche Luft nicht länger verarbeiten. Der Tod, jahrelang ein Schreckgespenst, das ihn aus dem Leben zu reißen drohte, erschien Pit nun wie ein verlockender Rettungsring der Schmerzlosigkeit. Er beschloss, nach ihm zu greifen und die Hoffnung, dieses janusgesichtige Ding, loszulassen, zu kapitulieren, sich abzufinden, zu enden.
    Pit Kossitzkes Beine gaben nach.
    Die Tür zur mit Glaswänden abgetrennten Vorführküche im hinteren Teil des Skulpturensaals war verbarrikadiert, ebenso die Hintertür.
    Der Jaguarkrieger hatte eine Geisel.
    Sie stand auf der großen, marmornen Arbeitsplatte.
    Und sie war

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