Die letzte Praline
Halter der Provinzen ihrem König Gaben darbieten.
Sie ernteten dafür ein gönnerhaftes Nicken.
Vor ihm und den anderen Juroren befand sich nicht länger Schokolade, es waren Kunstwerke, die Genuss versprachen, einen goldenen Moment im Mund, ein Feuerwerk am Gaumen, einen Bissen Sinnlichkeit. Im Idealfall: einen Moment, in dem die Zeit stillstand und alle Sorgen dahinschmolzen wie Schokolade in der Sonne.
Nun ging es ans Probieren.
Der Professor ließ eine Flasche Bietigheimer Wurmberg Trollinger öffnen und in vier Gläser gießen. Die Verkostung von Wein in Kombination mit Schokolade erforderte die richtige Reihenfolge – Bietigheim erläuterte sie allen, die sie hören wollten. Und seiner Meinung nach umschloss das einfach alle.
»Zuerst ein winziger Schluck Wein, dann schnuppern Sie an einem Stückchen Schokolade, bevor Sie es auf Ihre Zunge legen und Textur sowie Geschmack erforschen. Zart muss sie sein, geschmeidig und cremig, ihr Geschmack sollte ausnehmend lange anhalten. Falls sie sich fettig oder rau anfühlt, dann spucken Sie das miserable Erzeugnis ruhig aus. Zwei Zahlen will ich Ihnen vor der Verkostung noch nennen: Wein weist rund 850 bis 900 Aromen auf – Schokolade rund 1100 Aromen!« Er ließ das erst einmal sacken. Harter Tobak für Weinconnaisseure. »Nachdem Sie beide Genüsse einzeln erkundet haben, nehmen Sie abermals eine Praline, lassen Sie diese an Ihrem Gaumen anschmelzen, aber sich bloß nicht völlig auflösen! Jetzt erst folgt ein Schluck Wein. Zuerst beherrscht die Schokolade Ihren Mund, dann beginnt die ›Mariage‹, die Verheiratung, mit dem Wein. Ein Liebesspiel. Im besten Fall! Eine lautstarke Streiterei im schlechtesten. Wir werden sehen. Oder besser: Wir werden schmecken.«
Es waren Liebesspiele. Allesamt. Zärtliche, wilde, unfassbar sanfte, andere im kitschigen Hollywoodstil oder mit lautem Quietschen des Bettrostes. Doch fraglos hatten es alle zehn Teilnehmer verdient, hier zu sein, es gab keinen einzigen technischen Fehler. Bietigheim hatte eine lange Kontrollliste entwickelt, in der er etliche Unterpunkte benotete – unter anderem Schokoladenqualität, Gleichmäßigkeit der Pralinen, Harmonie, Füllung und Hülle, Glanz, Süßebalance. Er rechnete alles zusammen und teilte den anderen drei Juroren in einem Nebenraum seine Entscheidung mit, fragte kurz nach Gegenstimmen, erwartete und erhielt keine, drehte sich auf dem Absatz um und machte sich daran, das Ergebnis zu verkünden.
Für seine kompetente Entschlossenheit genoss er Madame Baels’ bewundernden Blick.
Im Saal war zwischenzeitlich ein Podest samt Rednerpult aufgebaut worden, das Adalbert forsch betrat. Die Augen der vor ihm versammelten Chocolatiers waren mit einer explosiven Mischung aus Hoffnung, Angst, Ungeduld und … Gelassenheit gefüllt. Urs Egeli blickte tiefenentspannt zum Fenster hinaus, so sicher war er sich seiner Sache. Franky van der Elst dagegen war knallrot angelaufen, Edward Macallan kaute an seinen Fingernägeln – hoffentlich nicht, um eine weitere exotische Zutat für seine Kreationen zu erhalten. Jòn Gnarr versuchte erfolglos, mit Jana Elisa da Costa zu flirten, die hoch konzentriert nach vorne blickte.
Gleich würden zwei Finalträume zerplatzen, und acht durften weitergeträumt werden.
»Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Chocolatiers, Vertreter der Medien, hier das offizielle Ergebnis der Jury. Das Halbfinale der Weltmeisterschaft der Chocolatiers erreicht haben … nein, warten Sie. Vorher möchte ich noch sagen, dass einige von Ihnen dem Trollinger wirklich Ehre gemacht haben. Und Sie nach Württemberg reisen sollten. Erzählen Sie allen, wer Sie auf den heimischen Wein gebracht hat. Mein Name wird Ihnen dort sicherlich Tür und Tor öffnen. Also … wo war ich … ach ja, die Halbfinalisten. Diese sind … hat zufällig irgendjemand meinen Foxterrier gesehen? Benno von Saber? Mister Macallan, würden Sie freundlicherweise einmal an Ihrem Arbeitsplatz nachschauen … jetzt bin ich doch ganz nervös.«
Macallan lief lässig zu seiner Kochstelle, beugte sich hinter dem Herd hinunter und kam mit einem Speck kauenden Benno im Arm wieder empor.
Adalbert war froh, als er den kleinen Racker wieder in den Armen hielt, auch wenn dieser unbedingt wieder zur Quelle des Specks zurückkehren wollte und sich wand und zappelte wie ein kleiner Aal.
»Ja, es gibt ja gleich was!« Der Professor holte einen Hundekuchen aus seiner Sakkotasche, und gleich war Benno wieder die Ruhe
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