Die letzte Praline
Säulengängen. Viele blendend weiß, aber auch Rosé- und Gelbtöne fanden sich. Hochhäuser gab es nicht, dafür viele Bäume, viel Grün und Möwen, die ihre krächzenden Laute über der Idylle ausstießen.
Auch die Villa der Reekmans war im anglonormannischen Baustil errichtet. Fast alle Prachtbauten hier trugen Namen, die auf kleinen Schildern über oder neben dem Eingang zu lesen waren, häufig in schwungvollen Buchstaben. Seemöwe, Scholle, Blauer Hering, Krebsfischer, allerlei Maritimes, aber auch Villa Kunterbunt, Home from Home, Sehnsucht, Zum alten Weingarten oder einfach nach einem Vornamen benannt, meist ein Frauenname wie Luise, Verena oder Haus Charlotte. Die Villa der Reekmans hieß »luilekkerland« – Schlaraffenland. Sie war so groß, dass sicher sechs Wohnungen darin Platz gefunden hätten, doch nachdem er die breiten Steinstufen emporgestiegen war, fand Bietigheim nur einen Namen auf der kupfernen Klingel. Diese drückte er nun, seine Fliege und das vom Wind leicht zerzauste Haar im Glas der Haustür richtend. Er prüfte zudem schnell noch seinen Atem – perfekt, dank Salmiakpastillen. Schließlich räusperte er sich, bereit, Worte des Beileids zu sprechen.
Doch niemand öffnete.
Abermals drückte er den Klingelknopf, diesmal fester und tiefer. Danach trat er einige Schritte zurück und blickte durch das Fenster ins Wohnzimmer. Niemand zu sehen. Doch im Kamin brannte ein Feuer, und eine junge Katze lag davor, ihr Fell ausführlich leckend.
Der Professor beschloss, ums Haus herumzugehen, um zu schauen, ob die Familie vielleicht im Garten die herbstlichen Sonnenstrahlen genoss.
Ihm begegnete eine Trüffelpraline von einem Meter Durchmesser, gefolgt von einer Weinbrandbohne und einem dreilagigen Nugatblock. Alle aus Buchsbaum.
Schließlich entdeckte er einen Mann, der sich gerade mit einer Heckenschere an einer weiteren Pflanze zu schaffen machte.
Er trug ein Barett und eine militärische Jacke, die ihn als Mitglied des 29. Bataillon Logistique Grobbendonk auswies. Er sah aus, als wäre er zweihundert Jahre alt, so tief waren die Schluchten in seinem Gesicht. Der Grand Canyon wirkte im Vergleich wie eine sanfte Hügellandschaft.
»Einen wunderschönen guten Tag«, wünschte Bietigheim ihm. »Ich bin auf der Suche nach der Familie Reekmans.«
»Bin am Arbeiten«, knurrte der Mann ihm grußlos entgegen.
Oha, ein Gärtner der verstockten Art. Eine harte Nuss, die es zu knacken galt. Bietigheim fielen die Blumenbeete auf, die, einem Ziffernblatt gleich, um die halb runde Holzterrasse der Villa angeordnet waren.
»Ich sehe Wiesenbocksbart, Kürbis, Wegwarte, Distel, Zaunwinde, Wiesen-Pippau und, und, und. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie eine Blumenuhr im Garten angelegt haben? Ich liebe Blumenuhren, man sieht sie viel zu selten.«
Der Gärtner drehte sich um, musterte den Professor eingehend, zog dann seine Gartenhandschuhe aus und begrüßte ihn mit einem Handschlag.
»Die Reekmans sind verreist.«
»Wegen Beas Tod?«
Der zerklüftete Mann nickte. »Ein gutes Mädchen, kenne sie schon von klein auf, die Bea. Jetzt sind die Eltern weg, bis zur Beerdigung, aber noch wird die Leiche ja nicht freigegeben, wegen Kapitalverbrechen. Sie haben es hier einfach nicht mehr ausgehalten. Gute Leute sind das. Zahlen immer pünktlich. Sie hab ich hier aber noch nie gesehen?«
Adalbert klärte ihn über seinen Juryvorsitz bei der Weltmeisterschaft der Chocolatiers sowie seine Doktortitel auf.
»Jan Aspe, Leutnant im Ruhestand.«
Doch etwa nicht der Vater des schrecklichen Kommissars? Bietigheim beschloss, lieber nicht zu fragen. Wer würde schon gerne über solch einen Sohn reden?
»Höchst angenehm!« Adalbert konnte es gerade noch verhindern, aus Reflex die Hacken zusammenzuschlagen. »Was war sie denn für ein Mädchen, die Beatrice?«
»Was für ein Mädchen?« Aspe senior zog die Augenbrauen empor. »Sie war schon eine Frau! Eine Schönheit. Wie die Mutter und deren Mutter. Die, also die Mutter der Mutter, kam irgendwann hierher, aus der Wallonie oder so, wegen der Sprache, nicht, das erkennt man ja. Die hatte nix, also kein Geld, und hat dann den Reekmans geheiratet, den muss sie vorher schon irgendwo kennengelernt haben, im Krieg, glaub ich. Die war ’ne Schöne, wirklich, selbst im hohen Alter noch, und ihre Tochter war auch schön, ist sie immer noch, und die Bea, na, die haben Sie ja gesehen. Ihre Eltern haben sie geliebt, und wie! Haben ihre Musikkarriere finanziert,
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