Die letzte Praline
Kameras! Dasselbe auf der anderen Seite. Die Reekmans hätten auch einen Zaun um das Haus ziehen können, doch das wollten sie nicht. Zum einen aus optischen Gründen, zum anderen, weil es eine Sache gibt, die ihnen noch wichtiger ist, als ihr Haus zu schützen: van der Elst dranzukriegen. Auf frischer Tat und Film. Wenn van der Elst könnte, würde er das ganze Haus hier mit einer riesigen Abrissbirne umhauen.«
»Aber wieso?«
»Darüber wurde nie gesprochen. Ein Streit zwischen van der Elst und Beatrice’ Vater Willem. Keiner von beiden hat je ein Wort darüber verloren, das muss schon Jahre zurückliegen.«
»Und wer glauben Sie – als Verwandter des einen und Angestellter des anderen – wird wohl im Recht sein?«
»Ich bin das, was Belgien von 1830 bis zum Großen Krieg war: neutral!« Aspe senior wandte sich einem neuen Buchsbaum zu. »Diesen hier, den schönsten und größten, werde ich als Chocofee formen. Wissen Sie, was ich hoffe? Dass sie wenigstens nicht leiden musste. Dass sie wenigstens schnell gestorben ist, ohne Schmerzen, wenn sie schon so jung gehen musste.«
Das hoffte Adalbert auch. Und er wusste, wo er eine Antwort auf diese Frage finden würde.
Es war einige Zeit vor Mitternacht, als der Professor das Warten endgültig satthatte. Schon geschlagene fünf Stunden harrte er in diesem elenden Verschlag von Gartenhäuschen aus – und konnte den Anblick von Tulpenzwiebeln nun nicht mehr ertragen. Etliche Säcke standen um ihn herum. Er hatte für sein ganzes Leben genug von Tulpenzwiebeln. Auch von Tulpen. Und Zwiebeln. Aber am schlimmsten war die Kombination. Und nach Holland, ins Land der Tulpen, würde er schon gar nicht mehr reisen. Was waren das nur für Menschen, die mitten unter Tulpen lebten? Ja geradezu umzingelt waren von diesen! Im 18. Jahrhundert waren Tulpen im Garten ein Symbol großen Reichtums. Dann doch lieber ein Mercedes in der Einfahrt. Benno begann an einem Sack Tulpenzwiebeln herumzuknabbern. Guter Hund! Bring sie alle um!
Bietigheim hatte in der kleinen, schäbigen Hütte im Gemüsegarten der Gerichtsmedizin viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wo er mit seinen Nachforschungen stand. Die Antwort war eindeutig: ganz am Anfang. Kaum weiter, als wenn er auf der Startlinie gestolpert wäre. Es gab eine tote Chocofee, doch für niemanden ein Motiv, sie zu töten.
Beatrice hatte am Abend ihrer Ermordung zuerst mit Pierre Cloizel Zeit verbracht, der nach Jón Gnarrs Aussage wenig empfänglich für weibliche Reize war, dann mit Jón Gnarr selbst und schließlich mit Ottavio, der sie allein in der historischen Chocolatierabteilung des Museums zurückließ. All dies, obwohl sie einen Freund hatte, den Schokoladenskulpteur Fred de Vaele, der aber als mönchisch galt und eigentlich viel zu alt für sie war. Wie Pit eben am Telefon berichtet hatte, konnte dieser kein Interesse daran gehabt haben, dass ihre Beziehung bekannt und sein Image angekratzt wurde. Aber würde er morden, um sie geheim zu halten? Warum nicht einfach alles abstreiten und die Beziehung beenden?
Beatrice Reekmans hatte vor ihrem Tod mit den drei Chocolatiers entweder geflirtet oder für van der Elst spioniert oder beides. Wobei van der Elst andererseits der Todfeind von Beatrice’ Vater war – wie passte das bloß zusammen? Gerade von ebendiesem Franky van der Elst wurde sie am nächsten Morgen gefunden. Nach eigener Aussage, weil er so besorgt um sie war. Geradezu väterlich besorgt. Andererseits hatte Ottavio Bertinotti vor diesem gewarnt und auch Aspe senior. Aber wo lag das Motiv? Natürlich traf man einen Vater am härtesten, am tiefsten, am unverzeihlichsten, wenn man seinem Kind etwas antat …
Ebenso gut konnte man aber auch Mareijke Dovendaan unterstellen, sie hätte gemordet, um selbst Chocofee zu werden. Doch die junge Frau erschien dem Professor bei Weitem nicht dermaßen ehrgeizig. Allerdings täuschte man sich leicht in Menschen. Allzu leicht. Und allzu oft.
Adalbert zuckte zusammen. Kamen die Tulpenzwiebeln näher? Griente ihn der Beutel mit den rosa Exemplaren etwa gemein an? Oder atmete er einfach schon zu lange die Zwiebeldämpfe ein? Wie gut, dass Benno bei ihm war. Dieser schlummerte nun zwar, aber ein Foxterrier war immer wachsam, der schlief im Endeffekt nie. Stets bereit, alles anzubellen, was es wagte, sich zu bewegen oder frecherweise in seiner Nähe zu sein.
Nur jetzt nicht.
Der Professor wurde unruhig und schaute auf seine güldene Taschenuhr. Mitternacht war immer
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