Die letzte Praline
eigentlich sehr angenehm.«
»Wie schön. Also, wo haben Sie gesprochen?«
»Im Museum. Wir sind zusammen durch die Ausstellung flaniert, haben uns lange die alten Chocolatierwerkzeuge angesehen. Sehr faszinierend. Aber irgendwann habe ich mich dann verabschiedet und sie alleine gelassen. Da war auch sonst niemand auf der Etage, als ich ging. Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, denn ich wollte nicht zu spät ins Bett, bei einem Wettbewerb muss man schließlich in Topform sein. Ich versuche immer, vor Mitternacht einzuschlafen. Das ist auch sehr gesund.«
Okay, dachte Pit, die heißblütigen Italiener waren auch nicht mehr das, was sie mal waren. Wie konnten die Römer bloß ein Weltreich erobern, wenn sie immer schon früh in den Federn lagen? Laut schnarchen, bis alle Gegner entnervt aufgaben? Er band Ottavio kopfschüttelnd los und schmiss die restliche Schokolade in den Mülleimer.
»Worüber haben Sie mit Beatrice Reekmans denn so geredet? Nur über Schokolade?«
»Sie wollte meine Pläne für die drei Finalrunden wissen. Wir alle haben uns ja schon detaillierte Gedanken über das Schaustück gemacht, das Thema ist schließlich bekannt. Als wir auf das Thema Skulpturen kamen, hat sie plötzlich von ihrem Freund erzählt. Sie war schon etwas betrunken, deswegen hat sie mir das anvertraut, vermute ich. Beatrice nannte seinen Namen nicht, aber ich glaube, sie meinte den Künstler Fred de Vaele, das ist der mit den Schokofiguren. Den hat sie wohl erst vor Kurzem kennen- und lieben gelernt, als sie Modell für ihn stand. Alles sei ganz geheim, meinte sie. Offiziell dürften weder sie noch ihr Freund von der Beziehung erzählen, aber sie wollte es endlich allen sagen, hinausschreien in die Welt, bei dem Startschuss für die Weltmeisterschaft. Ich sagte ihr, dass die Liebe ein Geschenk Gottes sei. Wenn es überhaupt etwas gebe, das ein Gottesbeweis wäre, dann nur die Liebe. Und das Lachen. Sie sind Gottes größte Geschenke. Man sollte sie nicht geheim halten, sondern sie teilen.«
»Danke für die Informationen. Tut mir leid wegen der Schokofolter.«
»War halb so schlimm.«
»Echt? Ich kann den Rest wieder …«
»Nein. Aber machen Sie sich keine Gedanken. Ich hatte heute eh noch nichts gegessen. Da ist so eine Extraportion Fett und Zucker nicht schlimm. Ich habe die ganze Zeit gespürt, dass Sie mir nichts wirklich Böses wollen. Obwohl, ich glaube, ein paar Jahrhunderte Fegefeuer bringt Ihnen die Sache schon ein.«
»Auf ein paar Jahrhunderte mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.« Pit grinste breit und knuffte ihm entschuldigend in den Oberarm.
»Ich möchte Sie um eines bitten, im Austausch gegen mein Schweigen für Ihren Überfall hier: Sagen Sie van der Elst nichts! Wenn er nicht wäre, hätte ich Ihnen ohne Zögern Auskunft gegeben. Aber van der Elst ist nicht der gutmütige Bursche, als der er sich gerne ausgibt. Er kennt keine Grenzen, weder bei seinen anrüchigen Schokoladen noch sonst. Hüten Sie sich vor ihm!«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich habe schon zu viel gesagt.«
Er hätte Ottavio wohl nur durch weitere Schokoladenfolter zum Reden bringen können. Doch Pit fand, dass er heute schon genug Jahre auf sein Fegefeuerkonto gepackt hatte, und beschloss, ins Hotel zurückzukehren.
Ohne zu ahnen, dass ihn dort eine Überraschung erwarten würde. Eine Überraschung, die dem Professor Tränen in die Augen treiben würde.
Adalbert Bietigheim hatte sich ein Fahrrad für den Weg zum mondänen Badeort De Haan geliehen. Es war herrlich, mal wieder die Luft an sich vorbeisausen zu spüren, Benno wie eine Galionsfigur vorne im Körbchen, die Pfoten auf dem Rand und die Schnauze im Wind. Vorbei ging es an schmalen Entwässerungskanälen in diesen dem Meer abgerungenen Ländereien und über Alleen von Platanen, die der salzige Wind alle in die exakt gleiche Schräge versetzt hatte und die sich trotzdem wacker hielten wie Soldaten, die das Land mit ungebrochenem Willen schützen wollten. Am Ende würde das Meer siegen. Das Meer siegte immer, das Wasser, der Wind, die Zeit. Das Land verlor.
De Haans Außenbezirke waren kein besonders schöner Anblick, doch inmitten dieser überwucherten Muschelschale lag eine Perle der Belle Époque. Malerische Villen, die um das Ende des 19. Jahrhunderts errichtet worden waren, fanden sich zwischen den Schienen der Überlandstraßenbahnlinie Kusttram und dem Meer. Mit Balkonen versehen, mit Erkern, Veranden, Dachgauben, ja sogar Türmchen und
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