Die letzte Praline
Kragen.
»Deine Fritten? Zehn Euro?«
»Zwanzig!«, sagte der Mann, nachdem er begriffen hatte, dass Pit ihn nicht ausrauben, sondern ihm tatsächlich seine Fritten abkaufen wollte.
Pit drückte ihm den Schein in die Hand und griff sich die frittierten Kartoffelstäbchen. Sie waren heiß und unfassbar salzig. Also genau richtig. Zufrieden schob Pit sie sich in den Mund, solange sie noch Lippen und Zunge verbrannten. Am liebsten immer acht auf einmal. Allmählich taten ihm auch die Zähne weh. Mann, war das gut!
Schmatzend erklomm Pit die Treppe zum Belfried, in dem sich ein Museum zur Geschichte des Turms befand. Vor ihm löste ein junger Mann, der ihm irgendwie bekannt vorkam, seine Eintrittskarte. Egal, jetzt ging es um Cloizel. Pit war dran.
»Damit dürfen Sie nicht hinein«, sagte die Dame am Ticketschalter streng und zeigte auf das Schild über ihrem Kopf, das eine durchgestrichene Eiswaffel zeigte.
»Das ist kein Eis. Das sind Fritten. Eure Nationalspeise.«
»Essen verboten. Auch Nationalspeisen. Und wenn, dann wären das Fritten mit Muscheln. Dazu ein Chicoréesalat und ein Bier. Als Nachtisch Waffeln. Wenn Sie das jetzt alles bei sich hätten, würde ich vielleicht ein Auge zudrücken.«
Pit versuchte, sie mit einem breiten Grinsen umzustimmen, und zeigte die Zähne. Ohne Erfolg. »Entscheiden Sie sich schnell. Wir lassen nie mehr als siebzig Leute gleichzeitig in den Turm. Und neunundsechzig sind gerade drinnen.« Sie blickte in Richtung einer betrunkenen schottischen Touristengruppe, die gerade eintorkelte. Dann zeigte sie auf den Mülleimer.
»Ich hab aber doch so einen Kohldampf. Und sie sind noch schön heiß. Bitte!«
»Gehen Sie bitte zur Seite, die Gentlemen möchten ins Museum.«
Pit pfefferte die Fritten in den Mülleimer und zahlte den Eintrittspreis an die überlegen lächelnde Kassendame. Sein Magen grummelte. Pit auch. Wo würde der blöde Cloizel wohl stecken? Doch hoffentlich nicht ganz oben, oder? Das war schließlich dreiundachtzig Meter und dreihundertsechsundsechzig Stufen entfernt.
Manchmal täuschte Pit sich im Leben.
Er hatte keine Augen für die Schatzkammer, keine für das beeindruckende Uhrwerk und all die Fotos und Tafeln, welche darüber informierten, dass der Belfried ab 1240 als Teil der Tuchhallen – des Handelszentrums der hier hergestellten Tuche – gebaut worden war. Der steinerne Turm diente der Stadt als Verwaltungssitz und trug einst ein Obergeschoss aus Holz, das jedoch mehrfach abgebrannt war, bis man 1822 eine neugotische Steinkrone erbaut hatte. All das war Pit schnurz, er hatte nur Augen für Cloizel, doch der war nirgends zu sehen.
Erst nachdem er sich in teils unfassbar engen Wendeltreppen alle Stufen hinaufgequält hatte, erreichte er völlig außer Atem die oberste Etage des Turms. Siebenundvierzig tonnenschwere Glocken hingen wie ein Damoklesschwert über ihm. Die hohen Fenster waren zwar glaslos, aber vergittert. Hier sprang niemand herunter. Wenigstens etwas.
Pit stützte sich auf seine Oberschenkel, der Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Jedes einzelne Kilo hatte er beim Heraufschleppen gespürt – und sogar die eben noch angefutterten Fritten. Seine Lederstiefel hatten sich als untauglich zum Treppensteigen erwiesen. Seine Füße ebenso.
Doch der Blick entschädigte, er reichte nicht nur über Brügge, sondern weit über Westflandern, sogar die Küste war zu erahnen, die Meeresbrise erzählte von Salz und Fischen. Bietigheim hatte ihm schon kurz nach seiner Ankunft ungefragt erklärt, dass hier viele Wolken an Schwefeltröpfchen keimten, die von Algen in die Luft abgegeben wurden und so den typischen Meeresduft ergaben.
Wäre trotzdem schöner gewesen, wenn es das Parfüm der Meerjungfrauen wäre.
Pit drückte sich schnell in eine der Fensternischen und sondierte den Raum.
Dort stand Cloizel. Aber nicht allein. Neben ihm war der junge Bursche, der direkt vor Pit ein Ticket gelöst hatte und der ihm schon unten bekannt vorgekommen war. Jetzt konnte er das Gesicht zuordnen.
Es war der junge van der Elst, Emile hieß er, vielleicht gerade Mitte zwanzig, hager, mit einem Dreitagebart, der mehr wie der Flaum eines frisch geschlüpften Kükens wirkte.
Die beiden konnten noch nicht lange zusammen hier stehen.
Pit drückte sich näher heran, wobei er ihnen die ganze Zeit den Rücken zuwendete und das polierte Haupt tief senkte.
»Jetzt sag endlich, was dieses ganze Theater soll«, zischte Cloizel, als Pit nur noch einige Schritte von
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