Die letzte Praline
worden, durch das Gestrüpp, bis zur Straße, wo er dann ins Auto geladen wurde. Das musste entweder jemand verdammt Starkes gewesen sein oder mehr als eine Person. Einen Pit Kossitzke schulterte man nicht so einfach.
Und einen Pit Kossitzke sperrte man nicht ein.
Niemals.
Er stand auf und trat gegen die Wand, schlug sie, mit all seiner wütenden Kraft, bis Fäuste und Füße schmerzten, er warf sich dagegen, mal an die eine, dann an die andere Seite, um das, worin er steckte, umzuwerfen. Pit sprang auf und versuchte durch den Boden zu krachen. Die flüssige Schokolade fing einen Großteil der Kraft seines Sprungs ab.
Genauso gut hätte er versuchen können, den Brügger Belfried umzureißen. Keinen Millimeter rührte sich die metallene Hülle. Alles, was er erreicht hatte, war, dass er über und über mit warmer Schokolade bedeckt war. Er hatte erotische Träume von so etwas gehabt, aber zurzeit war ihm gar nicht danach. Er schrie, aber nicht um Hilfe, er stieß Drohungen aus, versprach Rache, Qualen und Tod.
Irgendwann sackte er kraftlos zusammen.
Es war Freitag, und wenn das der Tank eines Chocolatiers war, dann würde dieser erst am Montag wieder arbeiten. So lange musste er ausharren. Immerhin hatte er genug zu essen.
Pit versuchte zu lächeln.
Der Versuch misslang.
Denn noch etwas beunruhigte ihn. Er mochte sich täuschen, doch eben war ihm die warme Schokolade nur bis zur Hüfte gegangen. Nun schon bis zum Bauchnabel. Aber wahrscheinlich bildete er sich das nur ein. Vermutlich saß er nur anders.
Pit schaffte es nicht, sich zu belügen.
Und er verlor etwas, das er sonst nie verlor.
Seinen Humor.
Eine Dreiviertelstunde war vergangen, ohne dass Didier Kalou irgendetwas getan hatte, das Bietigheim umstimmte. Dieser saß nun auf dem Beifahrersitz von Kalous Fiat Panda, der einer fahrenden Müllhalde glich. Der Boden war nicht zu sehen, weswegen Bietigheim auf der ganzen Fahrt seine Füße in die Höhe hob. Vor ihm lagen etliche »National Geographics«, anscheinend alles dieselbe Ausgabe. Der Professor griff sich eine, blätterte darin und fand schnell den Grund dafür. Ein deutscher Fotograf namens Max Rehme hatte eine Fotoserie über die Kakaoproduktion geschossen – und nichts ausgespart. Die Bilder vermittelten zugleich die Faszination der Kakaofrucht, ihre Verwandlung, ja geradezu Verpuppung vom Bitteren zum Süßen dank Fermentation, Trocknung und Röstung, wie auch die Härte der Arbeit und die Lebensbedingungen der arbeitenden Familien. Die Bilder sogen ihn so ein, dass er gar nicht merkte, wie sie am Stadtrand Brügges hielten. Unattraktiv war eine Untertreibung für diese Ecke. Dagegen war die Müllverwertungsanlage Borsigstraße eine Perle der Stadtplanung. Am Straßenrand stand dennoch eine Gruppe Touristen. Ein Großelternpaar samt schreiender Enkel, eine Muslimin mit Burka und ein junges Touristenpärchen inklusive aufgeklapptem Reiseführer lungerten vor einem Kanal herum, der schnurstracks ins Land führte, links und rechts von Platanen gesäumt. Von ferne näherte sich ein in die Tage gekommener Schaufelraddampfer und machte sich gemächlich daran, vor dem Noorweegse Kaai 31 anzulegen.
Der Professor drehte sich zu Didier Kalou. »Sie wollen eine Bootstour mit mir machen? Wirklich? Glauben Sie, die Schönheit der Natur beziehungsweise der windgeneigten Platanen macht mich mürbe?«
»Nein, Professor«, beschwichtigte Kalou ihn mit einem müden Lächeln.
»Was dann?« Doch mit einem Mal wusste Adalbert es. »Ich kann nicht fort vom Boot. Sie wollen sicherstellen, dass ich mich nicht entferne, ohne dass Sie eine Leiche auf mich rollen müssen.«
»Ja«, sagte Didier Kalou. »Dort können wir ungestört reden, solange die Fahrt dauert. Fünfunddreißig Minuten.«
Die »Lamme Goedzak« hatte festgemacht, drei Menschen verließen das Boot, die Wartenden stiegen ein, Kalou und der Professor zuletzt. Während alle anderen zielstrebig die Treppe zum Oberdeck nahmen, da das Wetter gewechselt hatte und der Sonne mal wieder ein paar Minuten auf der Showbühne vergönnt waren, blieben die beiden unten. Kalou wies den Professor an, auf welche Bank er sich zu setzen hatte. »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte er. »Oder ein Eis?«
Bietigheim zog die Augenbrauen missbilligend empor. »Karten auf den Tisch, und zwar schnell, sonst springe ich vom Boot.«
»Hier sind Aale im Wasser.«
»Die werden mich schon nicht fressen auf dem langen Weg zum Ufer. Was meinen Sie? Sind es zwei Meter? Oder
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