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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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zur Rede stellen.
    »Ein Platz ist noch frei«, antwortete Kalou. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, mit einer Leiche zu fahren?«
    »Oh, nein. Ich bin schon mit dem Dekan der Universität Reykjavík gefahren. Schweigsamer kann keine Leiche sein«, sagte Bietigheim und setzte nach kurzem Nachdenken hinzu: »Und stärker nach Verwesung riechen ebenfalls nicht.«
    Was einzig und allein an dessen Lieblingsspeise, der isländischen Haifischspezialität Hákarl, lag. Normalerweise hätte Adalbert dem jungen Rechtsmediziner jetzt einen Vortrag über Historie, Produktion und kulinarische Bedeutung der Spezialität aus verfaultem beziehungsweise fermentiertem Haifleisch gehalten. Doch ausnahmsweise war ihm nicht danach, denn er freute sich wie nie zuvor im Leben auf den Besuch einer Rechtsmedizin.
    Denn dort wartete ein Teil der Löstung dieses Falls auf ihn.
    Eine zeitlose Stille lag über dem Raum, so, als vergingen hier keine Sekunden, Minuten und Stunden. Didier Kalou wartete ruhig ab, bis Franky van der Elsts Leichnam auf einem der metallenen Obduktionstische abgelegt worden war, öffnete dann das entsprechende Programm am PC und schaltete die bewegliche OP-Leuchte ein.
    Auch Bietigheim blieb nicht untätig. Er schloss die einzige Tür zum Saal ab und steckte den Schlüssel ein, dann griff er sich eines der scharfen Obduktionsmesser sowie eine Knochensäge – und hielt beides hinter dem Rücken versteckt.
    »Und Sie sind sich sicher, dass Sie bei der Obduktion anwesend sein möchten?«, fragte Kalou.
    Bietigheim trat an den Seziertisch. »Haben Sie UV-Licht?«
    »Ja. Wieso?« Mit verwundertem Blick drehte Kalou sich zu ihm um. »Vermuten Sie, dass wir damit etwas finden?«
    »Oh ja, da bin ich mir sogar ganz sicher.«
    »Verraten Sie mir, was? Dann kann ich danach Ausschau halten.«
    »Es wird nicht zu übersehen sein. Vertrauen Sie mir – Jaguarkrieger.«
    Die Stille wurde schneidend, sie härtete schneller aus als heiße Kuvertüre im Eisschrank.
    »Bitte?«, fragte Didier Kalou und lächelte gequält. »Sie haben aber eine komische Art von Humor.«
    »Ihre Schuhe«, entgegnete Bietigheim. »Schreckliches Schuhwerk, diese Turndinger, gar nicht gut für den Fuß, völlig stillos, keine Handwerkskunst. Und dann diese Farbe! Dieses unmögliche Braun. Es sollte als eigenständiger Auslöser für Augenkrankheiten geführt werden. Nun ja, wie auch immer, der Jaguarkrieger trug genau dieselben Schuhe wie Sie heute. Ist das nicht ein merkwürdiger Zufall?«
    Jetzt lachte Kalou erleichtert. »Diese Schuhe sind sehr populär, gerade in dieser Farbe. Wenn jeder, der sie trägt, ein mordender Jaguarkrieger wäre, dann hätten wir eine ganze Armee von denen. – Haben Sie etwa wirklich geglaubt, ich sei es?«
    Bietigheim verneinte nicht, ließ aber auch das Bejahen sein. »Lassen Sie uns das UV-Licht anschalten.«
    »Gerne, wenn Sie dann nicht mehr solch einen Blödsinn erzählen.«
    Kalou drückte den entsprechenden Knopf und richtete das UV-Licht auf Kopf und Oberkörper des Leichnams. Durch den Transport waren Teile der Schokolade abgebröckelt.
    »Ich kann nichts erkennen. Wo soll das Licht denn hin?«, fragte der junge Gerichtsmediziner.
    Der Professor nahm Messer und Knochensäge hinter dem Rücken in die linke Hand, griff mit der rechten nach dem Lampenschirm und richtete das Licht auf Kalous Schuhe.
    Leuchtende Flecken waren auf ihnen zu sehen.
    Als wäre eine Flüssigkeit darauf verspritzt worden.
    »Wussten Sie«, begann Bietigheim genüsslich, »dass Katzenurin unter UV-Licht leuchtet? Und wussten Sie weiterhin, dass dem Jaguarkrieger, als ich ihn in De Haan stellte, von einer Katze auf die Schuhe uriniert wurde? Natürlich wissen Sie es. Keine Ausrede. Beleidigen Sie nicht meine Intelligenz. Sie sind der Jaguarkrieger, auch Statur und Stimme passen. Zudem stammen Sie von der Cote d’Ivoire, dem größten Produzenten von Kakaobohnen weltweit. Wenn einer einen Grund hätte, für faire Arbeitsbedingungen zu kämpfen, dann jemand aus ihrem Land.«
    Kalou blickte zur Tür.
    »Abgeschlossen. Der Schlüssel befindet sich in meinem Besitz.« Der Professor zog die beiden medizinischen Werkzeuge hinter seinem Rücken hervor. »Denken Sie erst gar nicht daran.«
    Kalous Pupillen huschten wie gefangene Frettchen umher. Es gab nur Angriff, mit dem Risiko des Todes – oder Kapitulation. Doch dann fand Kalou eine dritte Möglichkeit. Blitzschnell wuchtete er die massige Leiche Franky van der Elsts auf den Professor, der sich zwar

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